zum Hauptinhalt
Kanzler Olaf Scholz hat in Vilnius den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj getroffen – und mit ihm über Sicherheitsgarantien gesprochen.

© dpa/Kay Nietfeld

G7 geben der Ukraine Sicherheitszusagen: Deutschland wird eine Art Schutzmacht

Für die Phase zwischen Kriegsende und Nato-Beitritt haben die G7-Staaten der Ukraine am Mittwoch umfangreiche Sicherheitszusagen gegeben. Das hat auch für Deutschland weitreichende Folgen.

Es ist die sicherheitspolitische Alternative zu einem Nato-Beitritt unmittelbar nach einem Kriegsende, den die Allianz der Ukraine auf ihrem Gipfel so noch nicht zusagen mochte. Um dem Land die Sicherheit zu geben, dass es nicht erneut von Russland überfallen wird, wenn es eines Tages die Waffen niederlegt, haben die G7-Staaten der Ukraine in Vilnius umfassende Sicherheitszusagen gegeben.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unterzeichnete am Mittwoch für Deutschland die dreiseitige Erklärung, in der sich auch die USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada, Japan und die EU auf Grundzüge der künftigen Unterstützung der Ukraine verständigt haben – für die Gegenwart, in der sich das Land noch gegen Russland verteidigt, und eine Zukunft nach einer Waffenruhe.

Schon im Vorfeld des Gipfels hatte US-Präsident Joe Biden gesagt, dass die Vereinigten Staaten nach Kriegsende eine Schutzmacht für die Ukraine sein würden, wie sie es für Israel bereits sind. Somit hat sich nun auch die Bundesrepublik gegenüber Kiew bereit erklärt, eine Art Schutzmacht zu werden, deren genaue Aufgabe freilich erst noch in weiteren bilateralen Vereinbarungen genauer festgelegt werden soll.

Hinkt der Vergleich mit Israel?

Für Michael Roth (SPD), den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, hinkt der Vergleich mit Israel, das nicht nur wesentlich kleiner und damit von den USA kostengünstiger gegen seine Feinde aufzurüsten sei als die Ukraine. Zudem verfüge es über Atomwaffen. Er finde die Bezeichnung „Stachelschwein-Taktik“ treffender, sagte Roth dem Tagesspiegel: „Die Ukraine soll durch Rüstungslieferungen, Unterstützung bei der Rüstungsbeschaffung und bei Aufbau und Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte in ein Stachelschwein verwandelt werden, das Russland vor einem erneuten Angriff abschreckt.“

Tatsächlich enthält die neue „Joint Declaration of Support“ diese und weitere Elemente für „eine nachhaltige Streitkraft, die jetzt die Ukraine verteidigen kann und eine russische Aggression in der Zukunft verhindern kann“. Alle Unterzeichner verpflichten sich, weiterhin modernes militärisches Gerät bereitzustellen – und zwar für Heer, Luftwaffe und Marine „mit Schwerpunkt auf Luftverteidigung, Artillerie und Langstreckenraketen“.

17
Milliarden Euro wird Deutschland bis 2027 für Waffen für die Ukraine ausgegeben haben.

Gerade Marschflugkörper, Schiffe oder Kampfjets liefert Deutschland der Ukraine bisher ausdrücklich nicht. Ob die Unterzeichnung durch Scholz daran etwas ändert, ist noch unklar, weil die jeweils nationalen Beiträge noch auf dem Verhandlungswege im Detail festgelegt werden müssen. Am Rande des Gipfels wurde bekannt, dass Deutschland schon jetzt damit plant, der Ukraine bis 2027 Waffen im Wert von insgesamt 17 Milliarden Euro geliefert zu haben.

„Die unterschiedlichen Verbündeten sollten sich jeweils auf einige Aspekte der Verteidigung spezialisieren“, empfiehlt des Kanzlers Parteifreund Roth: „So könnte zum Beispiel Deutschland mithilfe der Bundeswehr und der Rüstungsindustrie, die ukrainische Luftabwehr stärken und modernisieren sowie die Ukraine mit modernen gepanzerten Fahrzeugen und Panzern ausrüsten.“

Beistand nicht ausgeschlossen

Es geht aber auch um Beistand im Falle eines erneuten Angriffs auf die Ukraine nach einem Friedensschluss. Hier verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten zu schnellen Waffenlieferungen. Die entsprechende Passage dazu, inwiefern sie selbst aktiv werden würden, ist jedoch absichtlich deutlich vager formuliert als etwa in Artikel 5 des Nordatlantikvertrags, der einen Angriff auf einen Alliierten als einen Angriff auf alle wertet und eine Pflicht zur maximal größten Hilfe artikuliert.

Die G7-Erklärung ähnelt mehr dem vierten Artikel des Nato-Vertrags, der eine Konsultationspflicht für den Krisenfall vorsieht. „Im Falle eines künftigen bewaffneten Angriffs Russlands“, heißt es in der Erklärung vom Mittwoch, „beabsichtigen wir umgehende Beratungen mit der Ukraine darüber, welche nächsten Schritte angemessen sind“. Weder wird im Anschluss daran ein militärischer Beistand konkret erwähnt, noch wird er explizit ausgeschlossen.

Für den früheren Bundeswehr-General Hans-Lothar Domröse, der einst das Nato-Hauptquartier im niederländischen Brunssum befehligte, ist jedoch klar, dass die neue Vereinbarung weitreichende Folgen für Deutschland haben kann. „Bei einer Schutzgarantie muss eine US-geführte Truppe zur Not blitzartig in die Ukraine verlegen“, sagte er dem Tagesspiegel: „Die Bundeswehr muss dann dabei sein.“

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg verwies darauf, dass der neue Nato-Ukraine-Rat, der am Mittwoch erstmals tagte, ebenfalls einen Krisenmechanismus enthält. Die G7-Erklärung bezeichnete er „als gute Ergänzung“.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab zum Abschluss des Gipfels seiner Hoffnung Ausdruck, dass er von den bilateralen Sicherheitsgarantien keinen Gebrauch machen muss, weil sehr schnell nach einer Waffenruhe mit Russland der Beitritt zur Allianz erfolgen könne – obwohl diese den Zeitpunkt bewusst offengelassen hat. „Ich bin zuversichtlich“, so der aus Kiew angereiste Staatschef, „dass die Ukraine nach dem Krieg in der Nato sein wird.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false