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Die Kritik an Karl Lauterbach wegen des Infektionsschutzgesetzes wird lauter.

© Imago/Thomas Trutschel

Der Corona-Kurs des Gesundheitsministers: Lauterbachs Abschied vom „Team Vorsicht“

Der Twitterer und der Minister Karl Lauterbach passen kaum noch zusammen. Es ist die Folge eines verlorenen Machtkampfes.

Die Google-Suche „Lauterbach warnt“ ist Quell schier endloser Mahnungen des Bundesgesundheitsministers, doch auf ein Ergebnis wartet man bislang vergebens: Dass Karl Lauterbach (SPD) vor seiner eigenen Politik warnt.

Dabei war diese Warnung nie so angebracht wie heute. Mit welch drastischen Worten würde wohl der einstige Abgeordnete und Gesundheitsexperte den Maßnahmenkatalog gegeißelt haben, den er gerade als Minister auf den Weg bringt. Ab Sonntag sollen das die Leitplanken der Pandemiebekämpfung sein.

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Entsprechend kann sich manch einer die kognitive Dissonanz, die zwischen den neuesten Tweets Lauterbachs („Deutschland hat die höchste Corona-Inzidenz Europas. Ungeimpfte jetzt schutzlos.“) und seiner Realpolitik (keine Schutzmasken mehr im Einzelhandel, Abschied von 2G und 3G) inzwischen aufscheint, nur noch mit einer Abspaltung des Ministers vom Twitterer Lauterbach erklären.

Vor dieser Interpretation könnte der Mediziner Lauterbach aber sicher nur warnen. Er besteht derzeit nicht nur darauf, dass auch die neuen Maßnahmen ausreichen, Corona zu beherrschen. Sondern er betont ebenso, dass es sein ureigenster Entwurf sei, alles andere als eine Niederlage im Machtkampf gegen den Koalitionspartner FDP.

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Beides kann getrost als PR abgetan werden; als ein Versuch der Schadensbegrenzung eines Ministers, der bei anderer Nachrichtenlage sicher noch weit größere Probleme haben würde – auch außerhalb des von ihm einst angeführten „Team Vorsicht“.

Bevor am Mittwoch im Bundestag erstmals und am Freitag dann abschließend über den von Lauterbach zusammen mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) verhandelten Entwurf für die Änderung des Infektionsschutzgesetzes beraten wird, könnte es maßgeblich auf Druck der Grünen zwar noch leichte Änderungen geben. Aber es würde dabei maximal wohl um eine Ausweitung der Maskenpflicht gehen, etwa auch auf Supermärkte. Besser als gar nichts, lautet die Devise, mit der Grüne und SPD dem Entwurf letztlich dann wohl auch zustimmen werden.

Beiden Ministerien gelang es nicht, eine Linie zu finden

Dass es so weit kam, dafür sehen viele Abgeordnete aus den Parteien der Regierungskoalition die Schuld bei Lauterbach. Beziehungsweise dessen mangelnder Durchsetzungsfähigkeit in der Bundesregierung. Unvorstellbar, dass sich sein Vorgänger Jens Spahn (CDU) bei Corona-Gesetzen dermaßen vom Justizressort hätte reinreden lassen, das seinerzeit aber eben auch von der SPD geführt wurde.

Mehr als nötig, so ist es etwa bei den Grünen zu hören, habe sich Lauterbach auf die Liberalen zubewegt. So habe er persönlich Buschmann gebeten, bei der Ausformulierung des Regierungsentwurfs zur Hand zu gehen, weil das Gesundheitsministerium zu dieser Zeit weitgehend gebunden war, als es Hilfestellung für die Parlamentsanträge zur allgemeinen Corona-Impfpflicht leistete.

[Lesen Sie auch: Der große Corona-Poker: Welche Regeln fallen sollen – und welche nicht (T+)]

Nach allem, was zu hören ist, begann damit vor einem Monat ein zäher Prozess, in dem es beiden Ministerien nicht gelang, eine Linie zu finden. Von dort an sei abwechselnd die Verantwortung zu den für Gesundheit zuständigen Vize-Vorsitzenden der Fraktionen der Regierungsparteien und wieder zurückgeschoben worden.

Eine Chance auf ein Machtwort von Lauterbachs Parteifreund Olaf Scholz habe dabei nie bestanden, schließlich habe der Kanzler schon vor der Ukraine-Krise wenig Willen gezeigt, sich die Pandemie-Politik nach dem 19. März zum eigenen Thema zu machen. Obwohl nur wenig Zeit blieb, passierte nach Beginn der Zusammenarbeit von Buschmann und Lauterbach zwei Wochen also erst mal nicht viel. Parlament und Ministerien schoben die heiße Kartoffel von einem zum anderen.

Justizminister Marco Buschmann (FDP) verhandelte mit Lauterbach den neuen Entwurf des Infektionsschutzgesetzes.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) verhandelte mit Lauterbach den neuen Entwurf des Infektionsschutzgesetzes.

© IMAGO/photothek

Die FDP war dabei von Anfang an in einer komfortablen Ausgangslage. Erstens hatte sie den Rückhalt eines offenbar gegenüber Lauterbach sehr verhandlungsstarken Justizministers. Vor allem aber hatte sie die „Sunset-Klausel“ im Rücken: Alle geltenden Corona-Maßnahmen würden einfach auslaufen, sollte keine Mehrheit für ein neues Gesetz gefunden werden. Besiegelt wurde dieses Machtgefälle schließlich mit dem gemeinsamen Auftritt Lauterbachs und Buschmanns vor einer Woche.

Es war das erste Mal, dass ein Justizminister im Gesundheitsministerium die Tonlage für ein Corona-Gesetz anstimmen konnte. Für die Liberalen war das ein kaum zu unterschätzender PR-Sieg. Minister Lauterbach konnte fortan hinter die Aussagen Buschmanns, die dieser im Hause des Kollegen gemacht hatte, nicht mehr zurück. Jedenfalls nicht ohne noch größeren Gesichtsverlust.

Lauterbach entschied sich seitdem für die Flucht nach vorn. Er verweist auf die sogenannte Hotspot-Regelung im Gesetz, mit der weitgehendere Pandemiemaßnahmen möglich sein sollen. Gelten soll dies in „Gebietskörperschaften“, für die Landtage eine Überlastung des Krankenhauswesens feststellen oder außergewöhnlich hohe Inzidenzen – nach Beschluss von Landesparlamenten könnte dies etwa auf Stadt-, Kreis- oder eben gleich auf Landesebene gelten.

Die Kritik, dass im Gesetz ohne festgelegte Grenzwerte gearbeitet werde, wies Lauterbach am Freitag von sich. Er sei hier nicht nur mit Buschmann einer Meinung gewesen, „sondern, offen gesagt, es war mein Vorschlag“. Gäbe es nicht solche weichen Paragrafen, hätten sie vor Gericht keinen Bestand.

Es wird befürchtet oder gehofft, dass jede harte Einschränkung nicht gerichtsfest ist

Allerdings gibt es hier auch genau gegenteilige Befürchtungen, je nach Perspektive wird befürchtet oder gehofft, dass mit den sehr auslegbaren Formulierungen im Gesetz jede harte Einschränkung nicht gerichtsfest ist. Offenbar sieht das auch Buschmanns Haus so.

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Am Wochenende berichtete die „Welt“ über eine interne Analyse aus dem Justizministerium, laut der Hotspot-Regelungen tatsächlich „Ausnahmecharakter“ hätten und „nur unter hohen Hürden“ möglich seien. Fakt ist: Hohe Inzidenzen allein begründen nach dem Gesetzestext keinen Hotspot. Er entsteht nur, wenn damit eine – am besten gerichtsfest begründbare – kommende Überlastung der Kliniken abzuleiten ist.

[Lesen Sie auch: Justizminister Marco Buschmann: „Wir sollten den Menschen nicht mehr Angst einjagen, als es angezeigt ist“ (T+)]

Ob die juristische Interpretation seines Hauses trägt, das dürfte sich indes schon sehr bald zeigen. So planten am Montag die Bundesländer Berlin, Brandenburg und Bremen, die Maßnahmen über den 19. März hinaus beibehalten zu wollen, Brandenburg will sie sogar teilweise verschärfen. Wahrscheinlich müssen sich dann auch Gerichte mit dem Thema befassen, auch davon dürfte abhängen, wie groß die Lust in anderen Senats- und Staatskanzleien sein wird, die Hotspot-Regelungen so beherzt umzusetzen, wie es Lauterbach sich gerade vorstellt.

Die Länder, sagte der Minister am Freitag, seien gut beraten, jetzt alles Nötige vorzubereiten. Das sei besser, warnte er, als „nur zu kritisieren, was das Gesetz alles nicht kann“.

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