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Experten glauben, dass es für die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines Spezialwissen brauchte.

© dpa/Swedish Coast Guard

Wer waren die Auftraggeber? : Die zentrale Frage des Nord-Stream-Krimis bleibt unbeantwortet

Seit Monaten kursieren Spekulationen zu den Explosionen der Nord-Stream-Pipelines. Nun sind die Ermittler offenbar ein Stück weiter. Experten ordnen die neuen Erkenntnisse ein.

Wer hat die Nord-Stream-Pipeline am 26. September 2022 in die Luft gesprengt? Seit Monaten kursieren wilde Anschuldigungen und Spekulationen: Russland stecke dahinter. Nein, die Ukraine. Nein, die USA.

Nun sind die Ermittler offenbar ein Stück weiter. Sie haben ein Schiff ausfindig gemacht, das bei dem Anschlag auf die Röhren am Meeresboden der Ostsee benutzt worden sein soll. Und an Bord Überreste von Sprengstoff gesichert. Zudem sind sie sechs Personen auf der Spur, die an Bord waren.

Doch die Hauptfrage dieses Geheimdienstthrillers bleibt unbeantwortet: Wer waren die Auftraggeber? Bei allen Puzzlestückchen an Informationen und Erkenntnissen muss geprüft werden, ob es vertrauenswürdige Indizien sind oder manipulierte Hinweise, die die Ermittler auf eine falsche Fährte locken sollen.

Vermutlich war das Ziel der Sprengung eine Warnung an den Westen, dass unsere Meeres- und Unterwasser Infrastruktur gefährdet ist. Solche Optionen haben die Russen in den letzten Jahren wiederholt getestet.

Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel

Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, warnt im Gespräch mit dem Tagessspiegel, es könne sich um eine „False Flag Operation“ handeln. „Vermutlich war das Ziel der Sprengung eine Warnung an den Westen, dass unsere Meeres- und Unterwasser Infrastruktur gefährdet ist. Solche Optionen haben die Russen in den letzten Jahren wiederholt getestet,“ so Krause.

Auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonten, aus den neuen Erkenntnissen ergebe sich kein Hinweis, wer hinter den Anschlägen steht.

Was ist neu?

Die neuen Informationen über eine Jacht und sechs beteiligte Personen, die am 6. September von Rostock aus in See gestochen sein sollen, stammen teils von einem Rechercheteam aus Journalisten der „Zeit“ und verschiedener ARD-Studios, die sich auf deutsche Ermittler berufen. Und teils von der „New York Times“, deren Journalisten mit US-Geheimdienst-Analysten gesprochen haben.

Die Jacht wurde demnach von einer in Polen beheimateten Firma gechartert, die zwei Ukrainern gehöre. Der Name der Firma ist nicht bekannt, ebenso wenig der Typ des Schiffes. Es muss groß genug gewesen sein, um sechs Personen, Tauchausrüstung und den Sprengstoff zu tragen – laut „New York Times“ rund 450 Kilo von einer beim Militär üblichen Qualität. Die Ausrüstung sei mit einem Lieferwagen in den Hafen Rostock gebracht worden.

Bei den sechs Personen soll es sich um den Kapitän, zwei Taucher, zwei Tauchassistenten und eine Ärztin handeln. Laut deutschem Rechercheteam ist ihre Nationalität nicht bekannt. Die verwendeten Reisepässe seien gefälscht. Die Quellen der „New York Times“ meinen, die Saboteure seien „sehr wahrscheinlich russischer oder ukrainischer Nationalität oder eine Mischung aus beidem“.

Am Tag nach dem Auslaufen aus Rostock konnten die Ermittler die Jacht in Wieck am Darß lokalisieren. Uns später an der dänischen Insel Christiansø nordöstlich von Bornholm.

Wie glaubwürdig ist das?

Experten haben Zweifel, dass diese sechs Personen mit dieser Jacht den Anschlag ausgeübt haben. Bisher seien keine Belege bekannt, dass die Jacht über dem Punkt der Ostsee gewesen sei, an dem die Pipeline gesprengt wurde, sagt Joachim Krause.

Für einen derartigen Anschlag ist eine Menge Spezialwissen über Tauchen und Sprengstoff erforderlich. Darüber verfügen in Deutschland – und ebenso vermutlich in anderen Ländern– nur wenige Leute. Und diese gehören den Sicherheitskräften an.

Fregattenkapitän Göran Swistek, Experte für Maritime Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik

Auch für Fregattenkapitän Göran Swistek, Experte für Maritime Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, klingt das Szenario „wenig pausibel“.  Man brauche eine ganze Menge Fachwissen für so einen Anschlag: Wie man Sprengstoffe handhabt, Zünder anbringt und diese – vielleicht per Funk oder Zeitsteuerung – auslöst.

So tief im Meer könnten nur speziell ausgebildete Taucher arbeiten. Allein das Dekompressionsverfahren beim Auftauchen „zieht sich über Stunden hin“. „Darüber verfügen in Deutschland – und ebenso vermutlich in anderen Ländern– nur wenige Leute. Und diese gehören den Sicherheitskräften an,“ erläuterte Swistek im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Daher „ist die Annahme, dass die Anschläge von nicht-staatlichen Akteuren ausgeführt wurden, abwegig.“ Swistek glaubt, dass staatliche Stellen beteiligt waren.

Krause vermutet, das Ziel der Sprengung sei eine „Warnung Russlands an den Westen, dass unsere Unterwasser-Infrastruktur gefährdet ist. Solche Optionen haben die Russen in den letzten Jahren wiederholt getestet.“

Verteidigungsminister Pistorius sagt, man müsse „alles tun“ um kritische Infrastruktur auch unter Wasser „besser zu schützen“. Die Unionsfraktion klagt über ein „intransparentes Vorgehen der Bundesregierung“. Sie leiste „Spekulationen in alle Richtungen Vorschub“, sagt ihr Sprecher für Krisenprävention, Roderich Kiesewetter, dem Tagesspiegel. Man müsse „weiterhin die Frage stellen“ wer ein „Interesse an der Sprengung“ hatte und warum nur „drei der vier Stränge“ gesprengt wurden. Die Beweislage sei „viel zu dünn“.

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