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Ob per Spritze oder durch Infusion – die Selbsttötung ist in Deutschland zurzeit praktisch nicht reguliert. Das besorgt viele Parlamentarier. Sie arbeiten an einem Gesetz.

© Ralf - stock.adobe

Abgeordnete feilen an Entwürfen: Sterbehilfe-Wirrwarr – kommt eine Neuregelung noch 2024 durch den Bundestag?

Im Sommer 2023 konnte der Bundestag sich nicht auf eine Neuregelung der Sterbehilfe verständigen. Jetzt wollen Abgeordnete das Thema erneut ins Plenum bringen.

Es war ein besonders aufrührender Fall von Sterbehilfe: Ein Arzt aus Berlin hat einer jungen Studentin im Sommer 2021 beim Suizid geholfen. Die Frau war schwer depressiv, wollte nicht mehr leben. Der Arzt wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, sieht sich aber im Recht.

Fakt ist: Diese Verfahren wird es noch häufiger geben. In Deutschland wird seit Jahren um ein Gesetz zur assistierten Sterbehilfe gerungen. Im Sommer 2023 konnte sich der Bundestag nicht auf eine Regelung einigen. Jetzt soll es wohl einen neuen Anlauf geben, wie der Tagesspiegel aus Koalitionskreisen erfuhr.

Denn die damaligen Wortführer beschäftigt das Thema sehr. Als das Urteil im Prozess um den Tod der Studentin bekannt wurde, schrieb die Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), für diese junge Frau komme es leider zu spät, aber: „Wir müssen dringend ein wirksames Schutzkonzept zum assistierten Suizid festlegen.“ Der assistierte Suizid dürfe nicht schleichend zur Normalität werden.

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Sterbehilfe finde zurzeit im Graubereich statt, sagt auch der Grünen-Abgeordnete Lukas Benner. „Ohne ein klar geregeltes und kontrollierbares Verfahren, ohne rechtliche Sicherheit“, ergänzt er. Diese Regelungslücke berge Gefahren, warnt Katrin Helling-Plahr von der FDP.

Und Renate Künast (Grüne) beschreibt die aktuelle Lage in Deutschland so: „Wir lassen Menschen mit Sterbewunsch allein. Im Bereich der Sterbehilfe agieren Vereine, deren Arbeit nicht klar geregelt ist und die den Zugang zur Hilfe von hohen Beiträgen abhängig machen.“

Die offene Rechtslage kommt denjenigen zugute, die sich am Sterbewunsch von verzweifelten Menschen bereichern wollen, befürchten die Politiker.

Im Bereich der Sterbehilfe agieren Vereine, deren Arbeit nicht klar geregelt ist und die den Zugang zur Suizidhilfe von hohen Beiträgen abhängig machen.

Renate Künast (Grüne)

Die Abgeordneten gehen auch mit sich selbst ins Gericht. Dazu muss man wissen, dass sensible Themen wie die Hilfe zur Selbsttötung im Parlament nicht von Fraktionen eingebracht werden, sondern von parteiübergreifenden Abgeordnetengruppen. Bei Abstimmungen über Themen wie Suizidhilfe, Organspende oder Abtreibung gilt zudem keine Fraktionsdisziplin, die Abgeordneten dürfen frei entscheiden.

Weder der eher konservative Antrag der Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci und noch der liberalere Antrag von Helling-Plahr und anderen fanden bei der Abstimmung im Juli 2023 eine Mehrheit. Konservativen Parlamentariern – mehrheitlich aus der CDU/CSU-Fraktion – war selbst der Antrag von Castellucci und Co. noch zu lax formuliert, obwohl der Gesetzentwurf den Schutz des Lebens in den Vordergrund rückte und Sterbehilfe grundsätzlich verbieten wollte.

Neue Gruppe wirbt um Mehrheit für ihre Sichtweise

Nach diesem gescheiterten Versuch 2023 wurde es still um das Thema Sterbehilfe. Bis sich eine neue Gruppe um den Neurologen Armin Grau gegründete. Der Grünen-Politiker kündigte ein Eckpunktepapier zur Sterbehilferegelung an.

„Gemeinsam mit anderen Abgeordneten will ich eine Regelung vorlegen, die dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben gerecht wird und gleichzeitig ein angemessenes Schutzkonzept für Sterbewillige beinhaltet“, sagte Grau dem Tagesspiegel. Auch die anderen beiden Gruppen feilen wieder an neuen Gesetzesentwürfen. Etwa einmal im Monat tauscht man sich untereinander aus.

Bisher finden diese Gespräche statt, ohne dass Inhalte an die Öffentlichkeit dringen. Zu groß ist die Angst, wieder viel Arbeit in einen Gesetzentwurf zu stecken, der dann keinen Erfolg hat. „Eine erneute Befassung ist nur dann sinnvoll, wenn ein neuer Antrag sich erstens von den beiden bisherigen unterscheidet und zweitens absehbar mehrheitsfähig ist“, bestätigt Lukas Benner.

Mindestens eine Gruppe gibt im Gespräch mit dem Tagesspiegel an, innerhalb von zwei Wochen einen neuen Entwurf zu Papier bringen zu können. Das macht Hoffnung darauf, dass sich der Bundestag möglicherweise schon vor der Sommerpause erneut mit dem Thema beschäftigen wird. Denn das Gesetzgebungsverfahren mit vielen Expertenanhörungen kann sich hinziehen.

Das geht den beiden anderen Gruppen zu schnell. Die Haltungen lägen noch zu weit auseinander, heißt es, die einzelnen Gruppen hätten sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Wie also sieht der Zeitplan für einen neuen Anlauf für die Regelung zur Sterbehilfe aus? „Unser Ziel ist es, noch in dieser Legislaturperiode eine Regelung auf den Weg zu bringen, die von einer breiten Mehrheit getragen wird. Dies gilt es in den kommenden Monaten auszuloten“, sagt Katrin Helling-Plahr.

Auch in der Gruppe um Armin Grau kommt man gut voran: „Wir führen laufend Gespräche mit Verbänden und Einzelpersonen und sind optimistisch, dass es in dieser Legislaturperiode ein neues Gesetz geben wird“, sagt Grau. Und der SPD-Politiker Castellucci gibt zu Protokoll, dass es einen neuen Anlauf noch in dieser Wahlperiode braucht.

Trotz ihrer Differenzen um den Akt der Sterbehilfe an sich hatte sich der Bundestag mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, die Suizidprävention zu stärken. Eigentlich sollte die Bundesregierung dazu bis Ende Januar ein Konzept vorlegen. Daraus sollte dann ein Gesetzvorschlag werden, der zum Beispiel vorsieht, eine bundeseinheitliche Nummer einzurichten, an die sich Menschen mit Suizidgedanken rund um die Uhr wenden können.

Bisher ist die Bundesregierung beides schuldig geblieben. Im Februar kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an, dass er im April liefern will.

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