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Der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).

© dpa/Kay Nietfeld

Update

Notoperation am laufenden Etat : Ampelkoalition reagiert in aller Eile auf Karlsruher Urteil

Das Bundeskabinett beschließt den Nachtragsetat 2023 und empfiehlt einen Notlagenbeschluss. Finanzminister Christian Lindner schickt einen dringlichen Brief an die Ampel-Fraktionen.

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Wenn das Bundeskabinett nicht zusammentritt, um einen Gesetzentwurf zu beschließen, sondern im sogenannten Umlaufverfahren entscheidet, kann das zwei Gründe haben: Entweder die Vorlage ist nicht ganz so wichtig oder sie ist sehr wohl – und dann vor allem eilbedürftig.

Am Montag ist Letzteres der Fall gewesen. Die Ampel-Regierung hat das Nachtragshaushaltsgesetz 2023 beschlossen, ohne sich zu treffen (der übliche Kabinettstermin ist mittwochs), weil nach dem Karlsruher Schuldenbremsen-Urteil keine Zeit mehr zu verlieren war. Zur Dramatik des Tages gehört auch ein dringlicher Brief von Bundesfinanzminister Christian Lindner an die Ampel-Abgeordneten im Bundestag, in dem er dafür plädiert, sich für den noch nicht beschlossenen Etat 2024 Zeit zu nehmen.

Mit dem Gesetz zum Nachtragsetat will die Koalition den Etat für 2023 wieder in einen verfassungskonformen Zustand versetzen. Denn aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor knapp zwei Wochen stand die Koalition vor der Tatsache, dass nicht nur 60 Milliarden Euro an Corona-Kreditermächtigungen, die 2022 in den Klima- und Transformationsfonds umgebucht worden waren, plötzlich verschwunden sind, weil das Manöver als verfassungswidrig und damit nichtig erklärt wurden.

72
Milliarden Euro beträgt die Neuverschuldung 2023

Das war das direkte Ergebnis des Karlsruher Urteils. Auch die Buchung von Kreditermächtigungen in den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) im vorigen Jahr hat sich nach kurzer Prüfung als verfassungswidrig entpuppt.

Im WSF wurden im laufenden Jahr 43,2 Milliarden Euro ausgegeben, die über neue Kredite finanziert wurden. Da diese nach dem Karlsruher Urteil – und im Gegensatz zum eigentlichen Plan der Koalition – unter die Schuldenbremse fallen, kann die zulässige Obergrenze bei der Nettokreditaufnahme in diesem nicht eingehalten werden. Bisher hatte die Ampel im regulären Etat dafür 45,6 Milliarden Euro reserviert.

Nun sind es laut Nachtragsetat nur noch 27,4 Milliarden Euro, die tatsächlich an neuen Schulden regulär gebraucht werden, weil die Ausgaben entsprechend niedriger ausfallen. Schlägt man der Summe die 43,2 Milliarden aus dem WSF dazu und addiert noch 1,6 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für Ausgaben wegen der Ahrtalflut 2021 (das ebenfalls vom Karlsruher Urteil betroffen ist), kommt man auf eine Gesamtverschuldung von 72,2 Milliarden Euro.

Verfassungsverstoß soll geheilt werden

Das ist weiterhin deutlich mehr, als die Schuldenbremse der Regierung erlaubt. Nach einer Neuberechnung liegt diese zulässige Neuverschuldung nunmehr nur noch bei 25,8 Milliarden Euro.

Um die daraus resultierende Verfassungswidrigkeit des Gesamtetats zu heilen, wird die Koalition im Bundestag neben dem Beschluss des Nachtragsetats nachträglich auch eine Notlage erklären, um so die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse in Anspruch nehmen zu können. Diese ist möglich bei Naturkatastrophen und in „außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“. Wie es aus der Union hieß, wird die CDU/CSU-Fraktion nicht nochmals dagegen klagen.

Energiepreisschock als Begründung

Die Begründung zur Notlage in der Vorlage der Regierung für das Parlament lautet, dass der durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiepreisschock auch 2023 deutlich spürbar sei. Zu Beginn des Jahres hatte die Regierung diese Notlage noch nicht feststellen wollen – Bundesfinanzminister Christian Lindner und seine FDP hatten sich dagegen gesperrt.

Die Energiekrise habe aber 2023 fortgewirkt, heißt es nun in der Pressemitteilung des Finanzministeriums. Mit den Maßnahmen zur Abfederung, vor allem der über den WSF finanzierten Gas- und Strompreisbremsen, seien die Folgen dieser Krise abgemildert worden. Die weiteren Hilfen für die Opfer der Ahrtalflut werden als Naturkatastrophe bezeichnet, die als außergewöhnliche Notlage weiterhin die staatliche Finanzlage beeinträchtige.

„Haushaltsrechtlich abgesichert“

Mit dem Nachtragsetat und der nachträglichen Notlagenerklärung werden die dafür aufgenommen Schulden nun „haushaltsrechtlich abgesichert“, wie es in der Mitteilung heißt. Lindner betonte, dass damit keine zusätzlichen Schulden aufgenommen würden, sondern nur die Verteilung von Krediten auf die Etats 2022 und 2023 geändert werde.

Die kleine Überraschung im Nachtragsetat ist ein großer Verzicht, den die FDP übt: Der Einstieg in das Generationenkapital, einen Fonds zur Finanzierung künftiger Rentenausgaben, ist gekippt worden. Das Projekt hatte unter dem Namen „Aktienrente“ im FDP-Wahlprogramm begonnen, war dann aber in den Koalitionsverhandlungen zurechtgestutzt worden.

Zehn Milliarden vorerst gestrichen

Was blieb, war eine Anfangssumme für einen Kapitalstock in Höhe von zehn Milliarden Euro, aus Krediten finanziert. Dieses Geld ist nun auch gestrichen – obwohl diese Kredite eigentlich gar nicht auf die Schuldenbremse anzurechnen gewesen wären, weil sie als Darlehen an den Fonds konzipiert waren und damit als eine neutrale Transaktion, wie es im Haushaltsdeutsch heißt. Ob das schon das Ende des Projekts ist, blieb am Montag unklar. Für den Etat 2024 war bisher eine weitere Transaktion in Höhe von 12 Milliarden Euro im Gespräch.

Was den KTF betrifft: Trotz der ersatzlosen Streichung der Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro in diesem Jahr bleibt es bei den geplanten Zuschüssen und Investitionen in Höhe von etwa 36 Milliarden Euro. Aber das Gesamtvolumen des Topfes schrumpft eben von gut 100 Milliarden Euro auf etwas mehr als 40 Milliarden.

Einschnitte beim Klimafonds

Das bedeutet, dass statt 64 Milliarden Euro nun nur noch 4,8 Milliarden Euro in die Rücklage fließen können. Ab 2024 ist die Finanzierung der über den KTF finanzierten Vorhaben eingeschränkt. Das Finanzministerium geht dennoch davon aus, dass weiterhin „ausreichend Mittel“ zur Verfügung stünden, „um seine Aufgaben im Jahr 2024 tätigen zu können“.

Im bisherigen Finanzplan für den KTF waren Ausgaben in Höhe von 57 Milliarden Euro veranschlagt. Nach der Schrumpfung des Fonds aufgrund des Karlsruher Urteils stünden allerdings nur noch 39 Milliarden Euro zur Verfügung. Das heißt, dass dem KTF entweder neue Einnahmen zugeführt oder aber bisherige Programme im KTF über den normalen Etat finanziert werden müssten.

Lindners eindringlicher Brief

Lindner schrieb zu den Plänen der Regierung am Montag zudem einen Brief an alle Abgeordneten der Ampel-Fraktionen, der dem Tagesspiegel vorliegt. Darin macht er deutlich, dass er erheblichen Beratungsbedarf für den nächsten Bundeshaushalt sieht, der im Haushaltsausschuss noch nicht abschließend beraten worden ist. Laut Lindner sind „weitreichende Änderungen am geplanten Bundeshaushalt 2024 und dem Finanzplan bis 2027 erforderlich“. Es gehe um einen „erheblichen Konsolidierungsbedarf“. Er schlägt vor, dass das Haushaltsverfahren 2024 „mit ausreichender Sorgfalt geführt und Zeit für die parlamentarischen Beratungen vorgesehen wird“.

Er rate dazu, „dass wir den Bundeshaushalt 2024 und den Haushalt 2025 zusammen betrachten, denn strukturelle Änderungen sind aus meiner Sicht unausweichlich“, schreibt Lindner weiter. Das von ihm am Wochenende in einem Deutschlandfunk-Interview genannte Änderungsvolumen – eine zweistellige Milliardensumme „mit einer Eins davor“ – wiederholt er in dem Brief nicht. Die Worte Lindners lassen sich so deuten, dass er einen Abschluss des Etats 2024 vor Jahresende nicht für machbar hält.

Schon die weitere Beratung des Nachtragsetats 2023 samt der Notlagenerklärung ist ambitioniert. Am kommenden Freitag soll die erste Lesung im Bundestag stattfinden. In der kommenden Woche gibt es dann die übliche Expertenanhörung, in der Woche darauf könnte das Gesetz dann in Bundestag und Bundesrat endgültig beschlossen werden. Es muss nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vor Jahresende im Gesetzblatt stehen.

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