zum Hauptinhalt
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vor Robert Habeck (Grüne)

© dpa/Kay Nietfeld

Update

Streit um Kindergrundsicherung: Lindners Absage löst heftigen Widerspruch bei Grünen aus

Der Finanzminister will Einkommensschwache nicht zusätzlich unterstützen. Aber die Grünen halten am Projekt fest, die Familienministerin widerspricht Lindner scharf.

| Update:

Eines ihrer zentralen Projekte entzweit die Bundesregierung weiter. Während Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nur noch wenig finanzielle Möglichkeiten für die Kindergrundsicherung sieht, bestehen die Grünen mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus auf die Einführung zum Jahr 2025. Mit der Kindergrundsicherung sollen unterschiedliche Leistungen für Familien künftig gebündelt werden. Beim Koalitionsausschuss in der vergangenen Woche war das Thema noch ausgeklammert worden.

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hält aber weiter daran fest, nach der Sommerpause einen Gesetzesentwurf vorzulegen. „Vor dem Hintergrund der hohen Inflation ist die Erhöhung des Kindergeldes ist ein wichtiger Schritt. Aber das allein ist nicht genug – die notwendigen Kosten für die Kindergrundsicherung können damit nicht verrechnet werden“, sagte Paus dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) am Sonntag.

Um mehr Kinder aus der Armut zu holen, müsse „die Kindergrundsicherung ausreichend finanziert werden“. Die von ihr genannten Kosten von zwölf Milliarden Euro pro Jahr seien „hierfür eher eine Untergrenze“, stellte Paus klar.

Armut vererbt sich häufig über Generationen.

Nina Stahr, Sprecherin für Bildung und Forschung der Grünen im Bundestag

Lindner hatte zuvor in der „Bild am Sonntag“ gesagt, er sehe im Haushalt 2024 kaum Spielraum für die Kindergrundsicherung. „Für Familien mit Kindern ist bereits viel passiert“, sagte Lindner. Mehr sei zwar „immer wünschenswert, aber nicht immer möglich“. Der Finanzminister erwartet zwar für 2024 eine Rekordsumme bei den Steuereinnahmen – mehr als eine Billion Euro. Seine Ablehnung der Kindergrundsicherung begründete er damit, dass auch die steigenden Steuereinnahmen nicht ausreichten, um die gesetzlichen Verpflichtungen des Bundes zu finanzieren. „An Mehrausgaben ist momentan nicht zu denken“, sagte er.

Paus sagte dagegen weiter: „2,8 Millionen Kinder in Deutschland sind arm oder von Armut gefährdet: Sie haben schlechte Karten – nicht nur am Anfang, sondern ihr Leben lang.“ Dabei gehe es nicht nur um den Besuch im Freizeitpark, den sich viele nicht leisten können.

„Immer häufiger als früher ist bei vielen zum Monatsende der Kühlschrank leer. Das betrifft auch Kinder aus Familien, in denen Eltern arbeiten, aber deren Einkommen trotzdem nicht ausreicht“, betonte Paus mit Blick auf Lindners Äußerungen, wonach Kinderarmut oft in der Arbeitslosigkeit der Eltern begründet sei.

Gerade wegen der Kinderarmut auch bei werktätigen Eltern habe „sich die Bundesregierung vorgenommen, die Kindergrundsicherung einzuführen“, fügte Paus hinzu. „Dabei werden wir sicherstellen, dass sich Erwerbstätigkeit finanziell lohnt und Eltern, die arbeiten, netto mehr übrig haben.“

„Dass jedes fünfte Kind in Armut lebt, können und dürfen wir uns in einem reichen Land wie Deutschland nicht leisten“, sagte die Sprecherin der Grünen für Bildung und Forschung im Bundestag, Nina Stahr, dem Tagesspiegel. Sie forderte einen einkommensabhängigen Zusatzbetrag für einkommensschwache Familien.

2,8
Millionen Kinder sind nach Angaben von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) von Armut betroffen.

„Armut vererbt sich häufig über Generationen – mit der Kindergrundsicherung können wir diesen Teufelskreis durchbrechen“, sagte sie zur Begründung. „Das wird es aber nicht zum Nulltarif geben“, fügte sie hinzu. Zusätzliche Ausgaben würden sich „am Ende mehrfach auszahlen, denn wenn allen Kindern Bildung und Teilhabe sicher gewährleistet wird, ist das auch ein entscheidender Beitrag im Kampf gegen den Fachkräftemangel“.

Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Andreas Audretsch, sagte: „Wer eine gute Zukunft für Deutschland will, der darf jetzt nicht an unseren Kindern sparen. Jedes fünfte Kind in Deutschland lebe in Armut. Es komme jetzt vor allem auf die SPD und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an. „Mit leerem Magen kann kein Kind lernen, in Angst vor dem Ende des Monats lässt es sich nicht auf die Zukunft konzentrieren“, sagte er der Süddeutschen Zeitung“.

Scharfe Kritik vom Finanzminister kam auch von der Linkspartei. Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte dem RND: „Die soziale Kälte des Finanzministers gegenüber armen Kindern ist erschreckend.“ Die Kinderarmut sei aktuell so hoch wie noch nie zuvor in Deutschland. „Die Ampel ist bisher keine familienfreundliche Regierung.“

Die soziale Kälte des Finanzministers gegenüber armen Kindern ist erschreckend.

 Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linkspartei

Bartsch fügte hinzu: „Familien mit Kindern waren die Verlierer in der Corona-Krise und sind jetzt wieder die Verlierer in Inflationszeiten.“ Die aktuellen Mittel glichen die Inflation mitnichten aus, erklärte er. „Wir brauchen eine Kindergrundsicherung, die ihren Namen verdient. Dafür muss das System vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Nicht unzählige Einzelleistungen, die niemand kennt, sondern eine Grundsicherung, die vor Kinderarmut schützt.“

Bartsch rief SPD und Grüne auf, sich gegen Lindner durchzusetzen: „Die Kindergrundsicherung steht im Koalitionsvertrag“, sagte er dem RND. „Über Nacht konnte Olaf Scholz 100 Milliarden für die Bundeswehr locker machen.“

Nun müsse der Bundeskanzler erneut handeln, so der Linke: „Es braucht jetzt eine klare Ansage des Kanzlers in Sachen Kindergrundsicherung“, forderte er. „Das Geld ist zweifelsfrei da – in Zeiten von Rekordeinnahmen im Haushalt einerseits und Rekordausgaben für das Militär andererseits.“

Für die Grünen geht es beim Streit um die Kindergrundsicherung auch darum, nicht wie zuletzt bei den Verhandlungen über den Klimaschutz erneut in die Defensive zu geraten. Zuvor hatte die FDP bei den koalitionsinternen Beratungen unter anderem durchgesetzt, dass es im Gebäudebereich beim Einbau neuer Wärmepumpen ab dem Jahr 2024 längere Übergangsfristen und Ausnahmeregelungen geben soll.

Lindner forderte wiederum, statt der Kindergrundsicherung andere Prioritäten im Haushalt zu setzen. Dabei nannte er die Erneuerung der Infrastruktur aller Verkehrsträger, die Digitalisierung des Staates, Ertüchtigung der Bundeswehr, Stärkung von Bildung und Forschung sowie die Modernisierung von Handwerk, Mittelstand und Industrie.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false