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Lars Klingbeil bei einer Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus.

© 360-berlin/Metodi Popow

„Umbrüche machen keinen Halt vor uns“: So will die SPD ihre Außenpolitik neu ausrichten

Die Sozialdemokraten wollen aus den Fehlern der Russland-Politik lernen. Es soll mehr Geld in die Verteidigung fließen, Länder des globalen Südens umworben werden.

In der Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine versucht die SPD weiter, zu einem neuen außenpolitischen Konzept zu finden. Die Umbrüche würden vor Europa keinen Halt machen; es sei Zeit, die eigene Rolle neu zu definieren, heißt es in einem 21-seitigen Beschlusspapier, das die parteiinterne Kommission internationale Politik erarbeitet hat und das am Montag im SPD-Präsidium von Parteichef Lars Klingbeil vorgestellt werden soll. Darin üben die Autoren Selbstkritik und fordern eine Neuaufstellung der Partei.

So sei eine Folge der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“, dass die Bundesrepublik künftig eine stärkere Rolle in der Welt einnehme: „Als Sozialdemokratie wollen wir, dass Deutschland Führung für ein starkes Europa, für Frieden, Freiheit und eine regelbasierte internationale Ordnung übernimmt“, heißt es in dem Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt und über das zuerst die „Tagesschau“ berichtet hat.

Auch bekennt sich die Kommission unter anderem klar zum Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Verteidigungsausgaben zu stecken. „Wir übernehmen mehr Verantwortung für die Durchsetzung unserer gemeinsamen Interessen im Sinne einer wertebasierten Friedensordnung“, heißt es dort. In den vergangenen Jahren war dieses Zwei-Prozent-Ziel – auch wegen der Intervention der Sozialdemokraten – stets deutlich verfehlt worden.

Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen.

Die SPD-Kommission internationale Politik empfiehlt der Partei eine neue Russlandpolitik.

In dem Papier, an dem unter anderem Fraktionschef Rolf Mützenich und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt mitgewirkt haben, werden auch selbstkritische Aussagen getroffen: „In den vergangenen Jahren haben wir Veränderungen sowohl in unserer unmittelbaren Nachbarschaft als auch darüber hinaus zu wenig Beachtung geschenkt oder sie falsch eingeschätzt“, heißt es beispielsweise.

Besonders kritisch betrachten die Sozialdemokraten die früheren Beziehungen zu Russland. Wegen der besonderen Geschichte zwischen Deutschland und Russland sei „der Blick für das Trennende getrübt“ gewesen. Die Prämisse von Wandel durch Handel sei gescheitert. „Das Festhalten an der Annahme mit immer stärkeren wirtschaftlichen Verflechtungen langfristig zu einer Demokratisierung und Stabilisierung Russlands beizutragen, war ein Fehler“, heißt es in dem Papier.

Bei ihrem Treffen im Februar 2022 waren die Differenzen zwischen Putin und Scholz bereits groß.

© dpa/Sputnik/Russian President Press Office/Mikhail Klimentyev

Unter Russlands Präsident Wladimir Putin sei keine Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen denkbar, heißt es weiter. Dies bedeutet zumindest kurz- und mittelfristig eine neue Ausrichtung der Sicherheitsordnung in Europa. „Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen.“

SPD für EU-Beitritt der Ukraine, Moldaus und Georgiens

Konkret unterstützen die Sozialdemokraten eine Osterweiterung der EU: „Für unsere künftige Osteuropapolitik gilt es, so schnell wie möglich die Voraussetzungen für die Aufnahme der Ukraine, Moldaus und perspektivisch Georgiens zu schaffen und den Aufnahmeprozess in die EU abzusichern.“ Um die EU außenpolitisch handlungsfähiger zu machen, solle zudem das Einstimmigkeitsprinzip überwunden werden.

Auch das Verhältnis zu China will die SPD neu bewerten. Wegen der geopolitischen und wirtschaftlichen Macht der Volksrepublik sei ein De-Coupling, also ein Loslösen von China, der falsche Weg. „Stattdessen brauchen wir eine europäische Resilienzstrategie, die Risiken verringert (De-Risking), auch mit Blick auf den Schutz kritischer Infrastruktur in Europa“, heißt es in dem Papier. Zudem sollten die Wirtschaftsbeziehungen nach dem Prinzip „China plus eins“ diversifiziert werden.

Damit folgt die SPD den Grundsätzen des Bundeskanzlers, der in der eigenen Koalition mit seiner Entscheidung, Teile des Hamburger Hafens an einen chinesischen Investor zu verkaufen, auf Widerstand gestoßen war. Eine neue China-Strategie aus dem Auswärtigen Amt von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wird in den kommenden Wochen erwartet. Sie sieht das Agieren der chinesischen Staatsführung noch deutlich kritischer als Scholz. Das SPD-Papier fordert nun eine gemeinsame europäische Chinapolitik. „Europa darf sich nicht von Peking auseinanderdividieren lassen, sondern muss seine geopolitische Macht nutzen und mit einer Stimme für Europas Interessen und Werte sprechen.“

Neue Partnerschaften erhofft sich die SPD von den Ländern des globalen Südens, um die Europa stärker werben müsse. „Europa ist für viele Staaten der Partner der ersten Wahl – allerdings haben wir es in den letzten Jahren versäumt, dieses Kapital auszuschöpfen und attraktive Kooperationsangebote zu machen, im Gegensatz zu China oder auch Russland“, heißt es selbstkritisch.

Das Papier ist die Fortsetzung eines außenpolitischen Erneuerungsprozesses, den Parteichef Lars Klingbeil vor Monaten eingeleitet hat. Schon im Juni 2022 hielt Klingbeil eine außenpolitische Grundsatzrede, in der er eine neue Führungsrolle für Deutschland definierte. „Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem“, meinte Klingbeil damals. Es müsse „den Anspruch einer Führungsmacht haben“. 

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