zum Hauptinhalt
Philipp Türmer und Sarah Mohamed kämpfen um den Juso-Vorsitz.

© Bearbeitung: Tagesspiegel/Jusos/Fionn Große; dpa Quelle/Jusos NRW

Zwei Kandidaten für den Juso-Vorsitz: Wer wird Rosenthals Nachfolger?

Philipp Türmer und Sarah Mohamed kämpfen um den Juso-Vorsitz. Lauter und linker wollen sie sein. Doch was unterscheidet die beiden?

Von Johann Aschenbrenner

„Ohne Gastarbeiter:innen kein Baklava“, steht auf dem Jutebeutel von Sarah Mohamed. Am Weltkindertag steht sie bei einer Demo der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen Haushaltskürzungen für Kinder vor dem Berliner Hauptbahnhof. Mohamed, 31, stammt aus Bonn, hat Geschichte und Philosophie studiert und sitzt im Bundesvorstand der Jusos.

Der Hesse Philipp Türmer, 27, ebenfalls im Bundesvorstand der Jusos, hat Volkswirtschaftslehre und Jura studiert, gerade arbeitet er an seiner juristischen Promotion.

An einem Wochenende im Oktober gibt er für die Jusos Sachsen in Dresden ein Grundlagenseminar zum Sozialismus. Gelesen wird unter anderem Marx’ Kommunistisches Manifest. Der Kapitalismus muss weg, findet Türmer. Zumindest darin ist er sich mit Mohamed jedenfalls einig.

Die Jusos wollen wieder frecher, wilder, lauter werden

Mohamed und Türmer, die beiden bisherigen Vize-Chefs, wollen Vorsitzende der Jusos werden, der Jugendorganisation der SPD. Der Nachwuchs hat diesmal das erste Mal seit Jahren die Wahl. Der Bundeskongress Mitte November in Braunschweig wird entscheiden. Die amtierende Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal, wie Mohamed ebenfalls aus Bonn, tritt nicht nochmal an, weil sie ein Kind bekommt. 

Bestimmte Gruppen wie Frauen und migrantisierte Menschen sind von Ungleichheit stärker betroffen.

Vize-Chefin Sarah Mohamed will Verteilungspolitik und Identitätspolitik zusammendenken.

Rosenthal saß seit Ende 2021 im Bundestag, unter ihr war es um die Jungsozialisten deutlich ruhiger geworden als unter ihrem Talkshow-affinen Vorgänger Kevin Kühnert. Weil auch er aber als Generalsekretär der Partei in die Machtstrukturen in der Parteizentrale eingehegt ist, sucht das junge, linke Lager der Partei seither eine starke Stimme, die die Partei auch mal herausfordert.

Mohamed und Türmer trauen sich das zu. Das Ergebnis, glauben viele, könnte knapp ausfallen. Wer von Ihnen hat die beste Chance in die Fußstapfen von Kühnert, Andrea Nahles und, ja, Gerhard Schröder zu treten?

Türmer musste in seinem Wahlkampf für den Vorsitz lange einen Balanceakt hinbekommen: einerseits laut und links sein und andererseits seine hessische Landesgenossin Nancy Faeser im Landtagswahlkampf unterstützen. Für letzteres muss sich Türmer vor den sächsischen Jusos in Dresden rechtfertigen.

Bei Türmers Sozialismus Seminar ist es nur noch eine Woche bis zur Wahl, Faesers Wahlkampf läuft miserabel. Faeser gilt vielen hier als konservativ und steht als Innenministerin für eine harte Migrationspolitik.

Auch wenn er Faesers Asylpolitik schon öffentlich kritisiert hat, hält er sich nun zurück: Wenn man ihn fragt, wie er die Zustimmung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser zum EU-Asylkompromiss findet, weicht er aus.

Die beiden Kandidierenden eint das Rauchen

Nach der verlorenen Hessen-Wahl ist dann der alte Türmer zurück: Als Olaf Scholz Abschiebungen „im großen Stil“ fordert, twittert Türmer: „Ich könnte kotzen.“

Türmer mopst sich in den Seminarpausen immer wieder Zigaretten aus der Schachtel einer Genossin, die nimmt das belustigt hin. Mohamed dreht selbst, während sie dem Demozug in Berlin folgt. Der einzige Unterschied?

Die amtierende Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal, wie Mohamed ebenfalls aus Bonn, tritt nicht nochmal an, weil sie ein Kind bekommt. 
Die amtierende Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal, wie Mohamed ebenfalls aus Bonn, tritt nicht nochmal an, weil sie ein Kind bekommt. 

© dpa/Rolf Vennenbernd

Faesers Flüchtlingspolitik zumindest treibt auch Mohamed um: „Es macht mich wütend, dass Faeser jetzt so eine restriktive Flüchtlingspolitik macht, die sich nicht groß von Seehofers unterscheidet.“ Eigentlich hätte die SPD die Chance, mit dem Innenministerium eine andere Migrationspolitik zu machen, glaubt sie.

Mohamed hat den mächtigen Landesverband Nordrhein-Westfalen als Kandidatin hinter sich. 59 von 300 Stimmen hat sie damit fast sicher. Türmers Kandidatur wiederum, sagen viele im Verband, habe kaum jemanden überrascht – es sei logisch gewesen, er habe sich das verdient.

Verstaatlichung, 90-Prozent-Erbschaftssteuer und Identitätspolitik

Beide kennen sich lange aus der Arbeit im Bundesvorstand. Doch, natürlich, so ein Verhältnis leidet auch in so einem Wahlkampf. Sie wollen trotzdem lieber über ihre inhaltlichen Themen sprechen: SPD und Jusos müssten sich mehr dem Klimaschutz widmen, findet Mohamed. Und: Verteilungspolitik und Identitätspolitik will sie zusammendenken: „Bestimmte Gruppen wie Frauen und migrantisierte Menschen sind von Ungleichheit stärker betroffen.“

Mohamed ist mit wenig Geld aufgewachsen und hat als schwarze Frau diskriminierende Erfahrungen gemacht. Stört es sie, dass Sie oft danach gefragt wird? Nein, meint sie, sie finde es wichtig über Ihre Perspektive zu sprechen, auch, weil sie glaubt, dass sie ein Vorbild sein kann. Für sie gab es nur wenige Vorbilder in der Politik, erzählt sie. Mohamed spricht dabei nicht von „Identitätspolitik“, sie sagt lieber „Anerkennungspolitik für diskriminierte Gruppen“.

Für ihren Konkurrenten Türmer ist Identitätspolitik nicht die erste politische Priorität: „Wir müssen raus aus den politischen Kulturkämpfen, die uns die politische Rechte und die Konservativen aufzwängen“, sagt er. Wer von beiden gewählt wird, dürfte also durchaus entscheidend werden für die künftige Ausrichtung des Verbandes.

Türmer beschäftigt vor allem eine gerechtere Steuer- und Umverteilungspolitik. Er spricht etwa über Alleinerziehende, die viel stärker von Ungleichheit betroffen seien, genau wie auch Migranten.

Sarah hat das abgelehnt. Ich finde, man hätte da drüber nachdenken können.

Philipp Türmer, Juso-Vize, über eine mögliche Doppelspitze.

Für Türmer hängt von der Verteilungsfrage alles ab. Er will deshalb eine 90-prozentige Erbschaftssteuer für Multimillionen-Erben, kämpft für ein Grunderbe für alle und Firmen, die die Energiewende blockieren, findet er, müssten vergesellschaftet werden. Dass die Jusos auf dem Bundeskongress auch erstmals ein umfassendes Steuerkonzept beschließen werden, ist ihm wichtig.

Türmer ist schon seit Jahren im Bundesvorstand der Jusos, trat noch zu Schulzeiten den Jusos bei. Mohamed ist erst dabei, seit sie 25 ist. Sie war vorher auch in der Antifa aktiv: dass sie aus dem Aktivismus kommt, ist ihr wichtig zu betonen.

Das Verhältnis zwischen den beiden wirkt wenige Wochen vor der Wahl angespannt: Auf die Frage, warum sie keine Doppelspitze bilden wollen, antwortet Türmer: „Sarah hat das abgelehnt. Ich finde, man hätte da drüber nachdenken können.“

Was die beiden eint: Sie wollen, dass die Jusos wieder lauter werden. Einsparungen im Bundeshaushalt kritisieren beide scharf. Türmer ist in diesen Tagen einer der wahrnehmbarsten SPD-internen Kritiker am Asylkurs der Bundesregierung.

Die Amtsperiode der bisherigen Juso-Chefin Jessica Rosenthal hat gezeigt: Damit das im Amt so bleibt, ist Unabhängigkeit wichtig. Mohamed sagt, sie wolle die Politik nicht zu Ihrem Hauptberuf machen. Allerdings arbeitet sie schon jetzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin für eine Bundestagsabgeordnete.

Für einen Abgeordneten zu arbeiten, sagt dagegen Türmer, das würde er nicht machen. Er möchte unabhängig bleiben, vielleicht selbst einmal in den Bundestag. Der Juso-Vorsitz ist zunächst ein Ehrenamt mit Aufwandsentschädigung. Aber immerhin: dazu gibt’s eine Bahncard 100.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false