zum Hauptinhalt
Bundeskanzler Olaf Scholz und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil an der überfluteten Aller in Verden.

© REUTERS/BPA

Neue Notlagen gegen die Schuldenbremse: Der SPD fehlt der Mut für eine ernsthafte Modernisierung

Der reflexartige Versuch, durch eine neue Notlage die Schuldenbremse aufzuweichen, offenbart ihre Probleme. Es braucht flexiblere Möglichkeiten. Sonst wird alles teurer – und die AfD profitiert. 

Ein Kommentar von Felix Kiefer

Das Jahr ist erst ein paar Tage alt und schon geht die Diskussion um ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse wieder los: Dieses Mal herhalten für die Erklärung der Notlage muss nicht die Flut im Ahrtal, sondern das Hochwasser in Nord- und Mitteldeutschland. Die Begründung ist neu, doch das Muster altbekannt. SPD und Grüne wollen die Schuldenbremse aushebeln, FDP und Union halten dagegen.

Nur wenige Wochen nach der Haushaltseinigung der Ampelparteien im Dezember ist dieses Agitieren der SPD unredlich. Sie hat den Formelkompromiss mitgetragen und hätte sich damals stärker für eine zukunftsgewandte Haushaltspolitik einsetzen können.

Wieder zeigt sich: Die Einigung hat kein solides Fundament. Und doch werden erneut die Konstruktionsfehler der Schuldenbremse deutlich, sprich: dass die Rückkehr zu ihrer Einhaltung weder ökonomisch noch politisch geboten ist.

Der Investitionsstau ist massiv

Deutschland ist in einer Rezession. Seit Jahrzehnten wird zu wenig investiert. Die Verkehrsinfrastruktur verrottet, der Ausbau im Digitalen geht viel zu langsam. Schulen und Verwaltungsgebäude verfallen. Das alles belastet die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts.

Zudem verschärfen sich international wie national multiple Krisen – für deren Eindämmung es finanzielle Mittel und Klarheit bräuchte.

Charkiw und Kyiv werden stärker bombardiert als je zuvor. Die Ukraine braucht Munition und Waffensysteme, um sich zu verteidigen. Was für ein Signal sendet Deutschland an die Menschen dort, wenn es sagt, man sei auch zukünftig bereit zu liefern, aber erst, wenn ein fiskalischer Weg gefunden sei? Das ist, als ob die Feuerwehr erst ausrückt, wenn die Schläuche poliert sind.

Auch hierzulande lodern verschiedene Krisenherde weiter. Die Reallöhne sind über Jahre massiv gesunken. Der Preisdruck mag sich abkühlen, doch Heizen, Tanken, Essen und Einkaufen sind weiter teuer. Die Bahn kommt nicht oder nicht pünktlich. Die Pisa-Ergebnisse alarmieren.

Profit schlägt daraus – ohne auch nur einen konstruktiven Lösungsvorschlag – vor allem die AfD, mit Umfragewerten von 37 Prozent in Sachsen. Das Vernachlässigen der Bedürfnisse der Menschen und die fehlende Vorbereitung auf die durch die Transformation notwendigen Veränderungen sind ein Konjunkturprogramm für die extreme Rechte.

Deutschland steht mit seinem Fetisch der Schwarzen Null weltweit ziemlich allein da. Ein Blick dies- und jenseits des Atlantiks würde der verengten deutschen Debatte guttun. Frankreich und Italien nehmen massiv Kredite auf, obgleich ihre Defizitquoten um ein Vielfaches höher sind. In den USA wundern sich Demokraten wie Republikaner über den selbstauferlegten Sparzwang der Deutschen – angesichts der Größe der anstehenden Herausforderungen sowie der Tatsache, dass Deutschland durch sein Top-Rating zu vergleichsweise günstigen Konditionen an Geld kommt.

Die Schuldenbremse muss flexibler werden

Die Schuldenbremse stammt aus einer anderen Zeit. In der heutigen Realität kommt der Staat mit den im Rahmen der fiskalischen Regeln zur Verfügung stehenden Mitteln eindeutig nicht aus. Die Schuldenbremse braucht ein Update.

Eine modernisierte, zukunftsfähige Schuldenbremse schafft keine Unsicherheit. Sie baut weder auf Schattenhaushalte noch temporäre Sondervermögen. Sie ermöglicht einen größeren Spielraum für investive Ausgaben und eine Neudefinition, was diese umfassen. Sie setzt heute Mittel dafür frei, was künftigen Wohlstand garantiert und Deutschland produktiver macht. Und ohne die zukünftig alles teurer wird – von der Erhaltung der Infrastruktur bis zur Transformation hin zur Klimaneutralität.

50
Prozent der Ökonom:innen in Deutschland sprachen sich in einer akutellen ifo-Umfrage für eine Abschaffung oder Reform der Schuldenbremse aus.

Verfassungsgemäße Reformvorschläge für die Schuldenbremse, etwa die Anpassung der Konjunkturkomponente – die regelt, wie viel neue Kredite Deutschland jedes Jahr aufnehmen darf – liegen auf dem Tisch. Doch sie müssen ins Bundeskabinett und gehören in die Debatten des Parlaments.

Die Ampel-Koalitionäre hätten sich Zeit kaufen können, die Schuldenbremse zu reformieren, indem sie im Dezember eine erneute Notlage erklärt hätten. Das haben sie bekanntermaßen versäumt. Statt immer neue Gründe für Notlagen zu suchen und sich über die Medien am Koalitionspartner abzuarbeiten, sollte die SPD entweder hinter dem Haushaltskompromiss stehen. Oder ihre Energie in die Entwicklung eines konsensfähigen Reformvorschlags stecken. Doch für letzteres fehlt ihr aktuell offensichtlich die Kraft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false