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Retten Strafzölle auf Solarmodule aus China die EU-Wirtschaft? Experten warnen, dass das nicht reicht, um das grundlegende Problem zu lösen.

© Getty Images/iStockphoto/Tsvetan Ivanov

Stärkung des Binnenmarkts: Brüssel will die EU-Wirtschaft konkurrenzfähig machen

USA und China enteilen bei der Produktion und Entwicklung von Zukunftstechnologien. Das soll sich nun ändern. Der Italiener Enrico Letta hat einen Bericht zur Zukunft des EU-Binnenmarktes erstellt.

Europas Wirtschaft schwächelt. Alarmierend ist, dass vor allem in den sogenannten Zukunftstechnologien die europäischen Unternehmen der Konkurrenz aus China und den USA hinterherhinken. Aus diesem Grund beraten die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel, wie die Lücke etwa im Bereich Wind- und Solarenergie, Künstliche Intelligenz und bei der Produktion von Batterien wieder geschlossen werden könnte. Dabei orientieren sie sich am sogenannten „Inflation Reduction Act“ (IRA) der USA, mit dem dort die Herstellung klimafreundlicher Technologien gefördert wird.

Europa muss sich gegen Instrumente wehren, die andere globale Mächte eingeführt haben.

Enrico Letta 

Hohe Subventionen und Steueranreize sollen die Wirtschaft des Landes zu Investitionen verlocken. Die EU verabschiedete in den vergangenen Monaten zwar zahlreiche Gesetze, dennoch konnte Europa dem IRA oder auch den massiven Subventionen Chinas für die dortigen Unternehmen noch nichts entgegensetzen.

Mehr Anreize für private Investoren

Das soll sich nun ändern. Also wurde der ehemalige italienische Ministerpräsident Enrico Letta damit beauftragt, durch Europa zu reisen. Er sollte sich auf allen Ebenen ein Bild der Lage zu machen, um schließlich einen Bericht zur Zukunft des EU-Binnenmarktes zu erstellen, den er am Freitag in Brüssel den Staats- und Regierungschefs präsentiert. Zu den zentralen Aussagen Lettas zählt, dass private Investoren mehr Anreize für Investitionen gegeben werden müssen, und er schlägt neue Regeln für staatliche Subventionen vor.

Enrico Lettas Bericht wird gespannt erwartet.
Enrico Lettas Bericht wird gespannt erwartet.

© AFP/KENZO TRIBOUILLARD

„Europa muss sich gegen Instrumente wehren, die andere globale Mächte eingeführt haben“, sagte der Italiener in Brüssel. Doch das kostet sehr viel Geld. Allein für die Umstellung auf grüne und digitale Technologien rechnet die EU-Kommission in den kommenden Jahren mit einem zusätzlichen Investitionsbedarf von rund 620 Milliarden Euro. Um größere Investitionen zu ermöglichen, sei ein EU-weit gemeinsamer Kapitalmarkt „von zentraler Bedeutung“, erklärte Letta.

Der EU-Markt ist zu kleinteilig

Der europäische Markt sei noch immer zu kleinteilig und deshalb für potenzielle Geldgeber nicht attraktiv. Grenzüberschreitende Investitionen seinen schwierig, weshalb Start-ups, die digitale Technologien entwickeln oder mit erneuerbaren Energien arbeiten, gerne in die USA abwandern würden. Auch in den Bereichen Energie, Telekommunikation und Verteidigung gebe es zu große Unterschiede in den nationalen Gesetzen, heißt es in dem Bericht. „Die Fragmentierung ist vor allem für kleine und mittlere Unternehmen ein großes Hindernis“, erklärte Letta.

Um Subventionswettläufe zu vermeiden, schlägt der Italiener auch vor, dass staatliche Gelder für europäische Projekte in Zukunft stärker von Brüssel verteilt werden könnten. Zudem deutet Letta an, dass die EU für solche Investitionen in Zukunftsbereiche gemeinsame Schulden aufnehmen könnte – ähnlich dem Corona-Fonds. Mit beiden Ideen dürfte er in den kommenden Monaten allerdings für einigen Diskussionsstoff sorgen.

Auf der Suche nach einer China-Strategie

Ein Thema der Staats- und Regierungschefs ist auch, wie eine gemeinsame Reaktion der EU auf die zum Teil überaus aggressive Wirtschaftspolitik Pekings aussehen könnte. Zuletzt hat die EU-Kommission deutlich gemacht, eine härtere Gangart dagegen einlegen zu wollen. So hat Brüssel wegen mutmaßlich wettbewerbsbeschädigender staatlicher Subventionen Ermittlungen gegen mehrere chinesische Windkraft-Unternehmen angekündigt.

„Wir untersuchen die Bedingungen für die Entwicklung von Windparks in Spanien, Griechenland, Frankreich, Rumänien und Bulgarien“, verkündete EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in diesen Tagen. Die Ermittlungen seinen „dazu gedacht, die Fairness in unseren Wirtschaftsbeziehungen wiederherzustellen.“ Vestager wirft Peking vor, mit massiven staatlichen Subventionen den Wettbewerb auf dem EU-Markt zu verzerren, zum Nachteil europäischer Unternehmen.

Experten halten solche Schritte von Seiten Brüssels unter den aktuellen Umständen für legitim. So erklärte Cora Jungbluth, Wirtschafts- und Asien-Expertin bei der Bertelsmann Stiftung, gegenüber dem Tagesspiegel: „Die EU sollte den Binnenmarkt gegen unfairen Wettbewerb und nicht-marktwirtschaftliches Verhalten von Handelspartnern schützen.“ Dazu gebe es bereits wirksame Instrumente, wie etwa Anti-Dumping-Zölle oder die neu eingeführte Regulierung zu ausländischen Subventionen.

Doch betont die Wissenschaftlerin, dass Maßnahmen wie Strafzölle auf Autos oder Solarmodule immer zwei Seiten hätten. „Betroffene Firmen gewinnen Zeit und könnten diese nutzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken“, sagte Jungbluth. Andererseits würden die Konsumenten aber nicht von möglicherweise sinkenden Preisen durch billigere Importe aus dem Ausland profitieren. Zudem stelle sich die Frage, so die Expertin, „ob Zölle allein ausreichen, um das grundlegende Problem zu lösen“. Sinnvoll wäre aus ihrer Sicht ein Maßnahmenmix, der zugleich auf Schutz und Stärkung des Binnenmarkts setze.

Für entscheidend halten Experten zudem, wie die EU die Auszahlung von Subventionen umsetzt. „Der IRA in den USA war effektiv, aber auch sehr teuer“, sagte Jakob Hafele, Geschäftsführer des ZOE Instituts für zukunftsfähige Ökonomien, dem Tagesspiegel. „Wir können das in Europa besser lösen“, so Hafele. Der Ökonom spricht sich dafür aus, nur Branchen-Champions mit öffentlichem Geld zu fördern. Mit smarter Regulierung erhielten nur die Produzenten staatliche Unterstützung, die am kosteneffizientesten produzieren und gleichzeitig Nachhaltigkeits- und Resilienzziele erfüllen. Wer die Ziele verfehle, könne die Förderung verlieren.

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