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Zwei Polizisten tragen einen Klimaaktivisten zum Gefangenentransport auf der A100.

© picture alliance/dpa

Parteitag gegen längeren Präventivgewahrsam: Berliner SPD uneins – Innensenatorin pocht auf Koalitionsvertrag

CDU und SPD haben eine Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams vereinbart. Doch jetzt ist der Parteitag der Sozialdemokraten dagegen. Wie geht es weiter?

In der Berliner SPD knirscht es wegen der von der schwarz-roten Koalition geplanten Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams. Am späten Freitagabend sprach sich die SPD auf ihrem Parteitag gegen eine „unverhältnismäßige Ausweitung der polizeilichen Präventivhaft“ aus. Damit stellte sich der Parteitag gegen die Pläne des eigenen schwarz-roten Regierungsbündnisses. Dieses hatte sich im Koalitionsvertrag auf eine Verlängerung von zwei auf maximal fünf Tagen geeinigt.

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) zeigt sich trotz des Parteitagsbeschlusses unbeirrt. „Jetzt werden die beiden für Inneres zuständigen Arbeitskreise der Koalitionsfraktionen in die Diskussion gehen, wie die bis zu fünf Tage Präventivgewahrsam ausgestaltet werden können“, sagte sie am Dienstag dem Tagesspiegel. Auch der Koalitionspartner im Abgeordnetenhaus gibt sich gelassen. „Als innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion sehe ich mich nicht an Parteitagsbeschlüsse der SPD gebunden“, sagte Burkard Dregger.

In dem vom Parteitag beschlossenen Antrag aus dem SPD-Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg und vom Forum Netzpolitik wird insbesondere ein längerer Präventivgewahrsam für Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ abgelehnt. „Der Rechtsstaat muss Meinungsäußerungen auch dann aushalten, wenn die Protestformen noch so stark am Nervenkostüm vieler nagen. Der polizeiliche Unterbindungsgewahrsam darf keinen Sanktionscharakter bekommen“, heißt es im Antrag.

Ein längerer Gewahrsam „ist was für häusliche Gewalt und für Hooligans, wo klar ist, dass da schwere Körperverletzungen begangen werden, aber nicht für allgemeine Straftaten“, sagte Antragsteller Volkmar Stein vom Forum Netzpolitik. Dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) warf er „SEK-Vokabular“ vor.

Parteitag will nur bei Terrorgefahr längeren Gewahrsam

Eine Verlängerung des Gewahrsams wäre – wenn überhaupt – nur möglich, um Terrorismus oder andere vergleichbar schwere Straftaten zu verhindern, heißt es im Antrag. Eine pauschale Verlängerung sei unverhältnismäßig. Freiheitsentzug ohne Strafprozess müsse die absolute Ausnahme bleiben.

Doch im Koalitionsvertrag von CDU und SPD steht: „Wir schaffen die rechtlichen Voraussetzungen für einen bis zu fünftägigen Präventivgewahrsam.“ Nicht nur, aber auch wegen der anhaltenden Blockaden der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ hatte die CDU darauf gedrängt. Auch Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte sich dafür ausgesprochen und die bisherige Gesetzeslage als schwierig bezeichnet.

Rot-Grün-Rot hatte 2021 das Gesetz reformiert

In jedem Fall muss immer ein Richter den Präventivgewahrsam anordnen. Damit sollen nach dem Sicherheitsgesetz erhebliche Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten verhindert werden. Berlin geht bislang einen Sonderweg bei der Dauer des Gewahrsams, dieser wurde 2021 von Rot-Grün-Rot von vier Tagen auf 48 Stunden verkürzt. Alle anderen Bundesländer erlauben mehr: zumeist sieben bis zehn Tage. In Brandenburg sind es vier Tage, in Sachsen und Baden-Württemberg bis zu zwei Wochen, in Bayern zwei Monate.

48 Stunden reichen bei häuslicher Gewalt nicht aus.

Iris Spranger, SPD, Innensenatorin

Auf dem Parteitag machte Spranger klar, dass die bislang maximal 48 Stunden Gewahrsam, die in der Praxis deutlich kürzer sind, gerade bei häuslicher Gewalt nicht ausreichten. Das habe sich in der Corona-Pandemie gezeigt. Bei der bisherigen Regelung hätten die betroffenen Frauen kaum Zeit, eine sichere Unterkunft zu finden. Meist seien es nur einige Stunden, in denen die schlagenden Männer im Gewahrsam seien. „48 Stunden reichen da nicht aus“, sagte Spranger.

Spranger will sich an Koalitionsvertrag halten

Spranger verwies auf dem Parteitag auch auf den per Mitgliederentscheid abgesegneten Koalitionsvertrag. Daran halte sie sich, sagte die Innensenatorin. Das Mitgliedervotum sei die höchste demokratische Entscheidung – das habe auch ein Landesparteitag zu akzeptieren, sagte sie der „B.Z.“.

Jan Lehmann, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagte, er halte den vom Parteitag beschlossenen Antrag für nicht zielführend. Dieser berühre rechtstheoretische Fragen, die man nicht an einem Freitagabend um 22 Uhr diskutieren könne. Die Gesetzesnovelle werde er aber gern mit seinen Genossen diskutieren.

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern fehlen im Berliner Sicherheitsgesetz Fallbeispiele dafür, wann ein Gewahrsam möglich wäre. Bislang muss nachgewiesen werden, dass jemand mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zum Ende des nächsten Tages eine Tat begeht oder fortsetzt.

Im Gesetz fehlen laut CDU Anhaltspunkte für Wiederholungsgefahr

Beteuert jemand wie die Klimaaktivisten, an diesem Tag nichts zu machen, muss er freigelassen werden. Auch deshalb kommen die Aktivisten bislang nur selten in den Gewahrsam – auch wenn sie Intensivtäter sind und bereits häufig bei Blockaden aufgegriffen wurden.

Die Wiederholungsgefahr ist im Gesetz nicht näher geregelt. Die CDU-Fraktion will deshalb konkretisieren, in welchen Fällen der Gewahrsam verhängt werden kann, und Richtern damit mehr Anhaltspunkte geben, die bislang im Gegensatz zu anderen Bundesländern fehlen.

Nach dem Vorschlag der CDU soll sich die Annahme einer Wiederholungsgefahr darauf stützen, dass die Person neue Taten ankündigt oder dazu auffordert, dass sie oder ihre Begleiter Waffen oder Werkzeuge dabei haben, die nach aller Erfahrung für derartige Taten gebraucht werden oder dass die Person in der Vergangenheit bereits mehrfach bei ähnlichen Vorfällen festgestellt wurde.

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