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König ohne Land. Nach der Wahl wird darum gestritten, welche Chefsessel in den Rathäusern neu besetzt werden.

© imago/Engelhardt

Wahlergebnis vs. Beamtenrecht: In diesen Berliner Bezirken wackeln die Chefsessel

Nach den Wahlen gibt es auch in den meisten Bezirksverordnetenversammlungen neue Mehrheiten. Welche Bürgermeister und Stadträte womöglich vor dem Aus stehen.

Von Tagesspiegel- Autor:innen

Die Wahl hat auch in den Berliner Bezirken alles durcheinandergewirbelt. Das müsste Konsequenzen haben, denn die neue Sitzverteilung hat in den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) nicht nur auf das Bürgermeisteramt, sondern auch auf die Verteilung der Posten für die Bezirksstadträtinnen und -räte Einfluss.

Das Problem: Da die amtierenden Stadträtinnen und Stadträte für eine Wahlperiode gewählt und zu Wahlbeamten ernannt worden sind, könnten sie entsprechend der aktuellen Rechtslage bis 2026 im Amt bleiben. Eine mögliche Abwahl würde eine Zweidrittel-Mehrheit in der BVV benötigen.

Das ist politisch deshalb brisant, weil sich an dieser Stelle das Dilemma zwischen demokratischen Prinzipien und dem Beamtenrecht auftut.

Hier skizzieren die Autorinnen und Autoren der wöchentlich erscheinenden Newsletter aus den zwölf Berliner Bezirken die Lage in den Rathäusern, in denen die Situation besonders brisant erscheint. Diese können Sie bestellen unter tagesspiegel.de/bezirke.

In Tempelhof-Schöneberg will der bisherige Amtsinhaber um Mehrheiten kämpfen

Wenn man das Wahlergebnis in Tempelhof-Schöneberg wie bei einer Neuwahl zugrunde legt, wird sich das Bezirksamt stark verändern müssen. Bisher hatten Grüne, SPD und CDU jeweils zwei Posten in dem Gremium; die Grünen stellten als stärkste Fraktion mit Jörn Oltmann den Bezirksbürgermeister. Nach der neuen Sitzverteilung in der BVV, bei der die CDU 19 Verordnete stellt, die Grünen 14 und die SPD 12, stünden der Union drei Posten zu, die Grünen könnten weiterhin zwei und die SPD nur noch ein Amt besetzen.

Angesichts dieses Ergebnisses erhebt CDU-Spitzenkandidat Matthias Steuckardt den Anspruch darauf, dass die CDU selbstverständlich die Führung im Rathaus Schöneberg übernimmt und er Bezirksbürgermeister wird, um „den Wunsch unserer Wählerinnen und Wähler nach einem funktionierenden Tempelhof-Schöneberg“ umsetzen zu können. Steuckardt sagt: Er gehe davon aus, dass die in der BVV Vertretenen „eine zeitnahe Neuwahl des Bezirksamts ermöglichen“.

Der bisherige Amtsinhaber von den Grünen kann sich allerdings vorstellen, im Amt zu bleiben. Die grün-rote Zählgemeinschaft hat zwar keine Mehrheit mehr, aber Oltmann möchte für eine Dreierkonstellation aus Grünen, SPD und Linken kämpfen. Sigrid Kneist

In Spandau sieht der CDU-Kandidat einen klaren Auftrag für sich als Bürgermeister

In Spandau hat die CDU ihr Ergebnis gefeiert. Trotzdem stehen ihr schwierige Wochen bevor. Der Haken: die Politikspielregeln im Rathaus. Die CDU stellt künftig theoretisch drei Stadträte, die SPD zwei, die AfD einen – der grüne Stadtrat scheidet somit theoretisch aus. 2021 lag die CDU 500 Stimmen hinter der SPD, jetzt liegt sie 15.000 Stimmen vor der SPD – und macht sich im Rathaussaal künftig noch breiter.

Aber reicht das, um die Bürgermeisterin Carola Brückner (SPD) mit einer Zweidrittelmehrheit abzuwählen? Das geht nur mit Deals – oder die Bürgermeisterin tritt von allein zurück, weil die Wahl politisch zu deutlich ausgefallen ist. Sie könnte zurück in ihren alten Beruf im Sozialministerium oder auch erfahrene Sozialstadträtin im sozial schwachen Spandau werden: Dafür war sie schon 2021 im Gespräch.

Treten Sie zurück, Frau Bürgermeisterin? „Schnellschüsse sind mit mir nicht zu machen“, sagte Brückner dem Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel. Erst mal wolle sie reden, zuhören, diskutieren – „und das ohne Eile“. Eine Personalrotation wäre denkbar, weil der Bürgermeister im Bezirk das wichtigste Ressort übernimmt: Finanzen und Personal.

Nach dem klaren Sieg für die CDU werden im Rathaus Spandau die Karten neu gemischt.
Nach dem klaren Sieg für die CDU werden im Rathaus Spandau die Karten neu gemischt.

© André Görke

Das Ergebnis ist aber viel klarer als gedacht. „Spandau hat den Wechsel gewählt. Mit fast 15.000 Stimmen Vorsprung habe ich den klaren Auftrag bekommen, das neue Bezirksamt als Bürgermeister anzuführen“, so CDU-Politiker Frank Bewig. „Nach diesem eindeutigen Wahlergebnis werde ich in den nächsten Tagen das Gespräch mit allen in der BVV vertretenden Parteien – außer der AfD – suchen, um über die Umsetzung dieses Wählerwillens zu beraten. Dazu gehören auch Gespräche mit Frau Brückner und welche Wünsche die SPD künftig hat.“

Die Grünen verlieren theoretisch ihren Stadtratsposten – doch auch er muss abgewählt werden oder zurücktreten. Oliver Gellert (Grüne) ist seit 2021 Stadtrat für Jugend und Gesundheit. „Ich werde nicht zurücktreten“, sagte Gellert. „Ja, ich könnte auch in meinen vorherigen Job zurück, das ist geregelt, aber das ist nicht mein Ziel. Ich bin Beamter auf Zeit, bis 2026, so oder so. Und ich werbe gerne dafür, dass ich meine Arbeit, die ich mit angestoßen habe, nach 1,5 Jahren nicht einfach wieder hinschmeiße, sondern für fünf Jahre ausüben kann.“ André Görke

In Marzahn-Hellersdorf fordert der bezirkliche Linken-Vorsitzende, den Wählerwillen zu akzeptieren

In Marzahn-Hellersdorf stellt die SPD mit Gordon Lemm aktuell den Bezirksbürgermeister, außerdem eine weitere Stadträtin. Auch die CDU stellt zwei Stadträt:innen, die Linke eine. Der AfD steht ebenfalls ein Stadtrat zu, der wird allerdings seit über einem Jahr nicht gewählt. Nach dem Abstimmungsergebnis vom Sonntag hätte die CDU mit ihren 31,4 Prozent der Stimmen die Möglichkeit, die Bezirksbürgermeisterin zu stellen und zwei weitere Stadtratsposten zu besetzen. Je ein Posten fiele auf AfD, SPD und Linke.

Doch das bisherige Bezirksamt kann nach aktueller gesetzlicher Lage im Amt bleiben. Aber ist das auch demokratisch legitim? Linke und Grüne bezweifeln das. „Das Ergebnis spricht eine deutliche Sprache“, sagte der bezirkliche Linken-Vorsitzende Kristian Ronneburg. „Man muss den Wählerwillen akzeptieren.“ Und das müsse sich im Bezirksamt auch abbilden. Grünen-Sprecher Max Linke sieht es angesichts der verschobenen Mehrheitsverhältnisse als „demokratisch schwierig“ an, wenn das Bezirksamt mit den Ergebnissen von 2021 weiterarbeitet.

CDU-Spitzenkandidatin Nadja Zivkovic erklärte gegenüber dem Tagesspiegel, sie wolle "mitgestalten". Die CDU werde mit allen demokratischen Parteien in der BVV Gespräche führen. Nun brauche es eine landesweite Lösung, "um ein für alle Beteiligten faires Verfahren zu entwickeln". Die CDU habe bereits einen Vorschlag gemacht, wie das Gesetz entsprechend geändert werden könnte.

Gordon Lemm (SPD) ist seit 2021 der Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf.
Gordon Lemm (SPD) ist seit 2021 der Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf.

© Doris Spiekermann-Klaas/Tagesspiegel

Lemm wollte sich zum weiteren Vorgehen noch nicht klar äußern. "Was dieses Ergebnis jetzt für den Bezirk und die weitere Zusammenarbeit bedeutet, wird sich in den nächsten Wochen zeigen", sagte er. "Dazu führen wir sowohl parteiinterne Gespräche als auch Gespräche mit allen demokratischen Kräften der BVV, als erstes jedoch mit unseren Koalitionspartner:innen von Linke und Bündnis 90 / Die Grünen." Johanna Treblin

Der bisherige Bürgermeister in Reinickendorf will – noch – an seinem Amt festhalten

Wie soll es im seit 2021 SPD-geführten Reinickendorf weitergehen? Die Reinickendorfer Ampel musste ihre Mehrheit in der BVV nun einbüßen, mit der SPD, Grüne und FDP Bezirksbürgermeister Uwe Brockhausen (SPD) stellen konnten. Der machte bei der letzten BVV-Sitzung noch klar, auch nach der Wiederholungswahl Bezirkschef bleiben zu wollen. Im Amt bleiben dürfte Brockhausen zwar aus rechtlicher Sicht, doch wird er an seinem Amt auch trotz neuer Kräfteverhältnisse festhalten?

Gegenüber dem Tagesspiegel klingt Brockhausen noch zögerlich, aber geläutert: „Am Tag nach der Wahl sind die konkreten Auswirkungen noch nicht absehbar, da die diesbezüglichen Gespräche zwischen den Beteiligten sowohl auf Landes- als auch auf Bezirksebene jetzt erst beginnen. Sicher scheint mir, dass es ein berlinweites Herangehen an die neuen Mehrheitsverhältnisse sinnvoll ist.“

Zu Rücktrittsforderungen wird es aus Sicht des CDU-Fraktionschefs in der Reinickendorfer BVV, Marvin Schulz, nicht kommen müssen: „Ich habe Herrn Brockhausen als seriösen Demokraten kennengelernt und bin guter Dinge, dass die Parteien dieses demokratische Ergebnis akzeptieren.“ Die neue Bezirksbürgermeisterin für ihn: CDU-Spitzenkandidatin Emine Demirbüken-Wegner, aktuell Bezirksstadträtin und stellvertretende Bürgermeisterin. Lisa Erzsa Weil

Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) plädiert für einheitliches Vorgehen in ganz Berlin

Wird auf Basis des Neuköllner Wahlergebnisses ein neues Bezirksamt gewählt, würde sich dessen parteiliche Zusammensetzung definitiv ändern. Bisher hatte die SPD als stärkste Fraktion den Bezirksbürgermeister Martin Hikel und die Stadträt*innen Karin Korte und Mirjam Blumenthal gestellt.

Aufgrund des Erfolgs der nun fraktionsstärksten CDU, würde sich an dieser Verteilung rechnerisch etwas verändern. Bisher halten sich die Parteien bezüglich des weiteren Vorgehens bedeckt. Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) plädiert auf Anfrage für ein „einheitliches Vorgehen in ganz Berlin“. Masha Slawinski

In Pankow könnte Sören Benn (Linke) auch weiterhin Bürgermeister bleiben

Im Pankower Bezirksamt wird mit großer Wahrscheinlichkeit alles bleiben, wie es ist. Dass Bürgermeister Sören Benn (Linke) mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit durch die BVV abgewählt wird, ist nach aktuellem Stand nicht zu erwarten.

Die bisherige rot-rote Zählgemeinschaft, die das Pankower Rathaus und wichtige weitere Posten innehat, dürfte daran kein Interesse haben. Und sie könnte ein solches Abwahl-Votum mit ihren nun noch 20 BVV-Stimmen allein verhindern. Christian Hönicke

Lichtenberg dürfte Linken-Bürgermeister behalten

Das Lichtenberger Bezirksamt wird sich dagegen neu sortieren müssen. Die CDU löst die Linke als stärkste Fraktion ab, ihr stehen nun zwei Posten zu, der Linken nur noch einer – Michael Grunst (Linke) dürfte trotzdem Bürgermeister bleiben.

SPD, Grüne und AfD können ebenfalls Stadträte stellen. Die CDU formulierte den Anspruch, dass sich das Wahlergebnis auch in der Besetzung des Bezirksamtes spiegeln solle. Robert Klages

CDU-Mann pocht in Steglitz-Zehlendorf auf Anspruch seiner Partei

Dass sich das Wahlergebnis auch in der Zusammensetzung des Bezirksamts spiegeln sollte, findet prinzipiell auch die Bezirksbürgermeisterin von Steglitz-Zehlendorf, Maren Schellenberg (Grüne).

Dem Tagesspiegel sagte sie: „Ich wünsche mir eine berlinweite Regelung, bei der man mit dem Wahlergebnis so umgeht, dass niemand seine Beamtenrechte verliert.“

Stephan Standfuß, frisch gewählter Abgeordneter und Kreisvorsitzender der CDU, betont den Anspruch seiner Partei. „Ich hoffe, dass die anderen Parteien das auch so akzeptieren.“ Boris Buchholz

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