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Israelischer Botschafter Ron Prosor

© Scarlett Werth für den Tagesspiegel

Israels Botschafter Ron Prosor: „Der jüdische Staat leistet einen Beitrag zu Deutschlands Schutz“

Als Israels Botschafter will Ron Prosor die Beziehungen beider Länder ausbauen. Ein Gespräch über Jugendaustausch, Raketen, Antisemitismus und den neuen Nahen Osten.

Herr Prosor, seit August sind Sie Israels Botschafter in Deutschland. Ihre Familie stammt aus Berlin, Ihre Großeltern lebten in Wilmersdorf. Haben Sie die Straßen Ihrer Vorfahren besucht?
Auch mein Vater wurde in Berlin geboren! Und mein Großvater sah sich selbst als preußischer Offizier, als Teil einer deutschen, patriotischen Familie, die mit dem Judentum im Alltag wenig zu tun hatte. Meine Großmutter war es, die Ende 1933 die nötige Weitsicht besaß, um zu sagen: Es ist falsch, in Deutschland zu bleiben.

Die Eisenzahnstraße 3, dort lebten meine Großeltern, habe ich tatsächlich besucht. Ich bin ohnehin seit meinem Amtsantritt im August in Berlin unterwegs, habe den Zoo gesehen, war in der Oper, habe Cafés und Restaurants ausprobiert. Und ich war in den Stadien von Hertha und Union und habe mir jeweils ein Bundesligaspiel angeschaut.

Sie haben angekündigt, als Botschafter Ihres Landes die deutsch-israelischen Beziehungen weiter ausbauen zu wollen. Wie wollen Sie das angehen?
Ich lege großen Wert darauf, dass sich junge Menschen aus beiden Ländern besser kennenlernen. Im September haben unsere beiden Regierungen in Jerusalem eine Absichtserklärung zur Gründung eines deutsch-israelischen Jugendwerks unterzeichnet. Mein Ziel ist es, dass das gemeinsame Jugendwerk 2023 Realität wird. In einem ersten Schritt sollen deshalb einige Schulleiter in Deutschland und in Israel für das Projekt gewonnen werden.

Wie ist es generell um das deutsch-israelische Verhältnis bestellt?
Nach den USA ist Deutschland unser wichtigster strategischer Partner. Es geht dabei nicht nur um U-Boote, die uns Deutschland liefert. Es geht auch um die generelle sicherheitspolitische Zusammenarbeit. Zum Beispiel üben die israelische und die deutsche Luftwaffe schon lange gemeinsam. Und, nicht zu vergessen: Deutschland führt gerade Gespräche über den Kauf des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow 3. Das ist schon eine Zeitenwende.

Inwiefern?
Dass Israel womöglich ein Luftabwehrsystem an Deutschland verkauft, hätte sich vor nicht allzu langer Zeit wohl kaum jemand vorstellen können. Der jüdische Staat leistet 75 Jahre nach seiner Gründung einen Beitrag zum Schutz der Bundesrepublik und Europas – das ist schon etwas ganz Besonderes.

Die Documenta, Judenhass, Verschwörungsideologen verschiedener Richtungen – in Deutschland wird wieder viel über Antisemitismus diskutiert. Wie nehmen Sie diese Debatten wahr?
Beim Streit um die „Documenta 15“ fällt es vielen schwer, das eigentliche Problem zu erkennen, weil der Antisemitismus von links kam. Von Künstlern, die angeblich die Bedürfnisse der Unterdrückten im Blick haben. Beim Antisemitismus von rechts ist alles viel einfacher. Der wird in der Öffentlichkeit abgelehnt, da sind sich die meisten einig. Schwieriger ist es mit dem Antisemitismus von links.

Weil?
Weil Linke gerne als Vertreter der Guten und des Guten wahrgenommen werden. Deshalb brauchten einige mehr Zeit, um linken Antisemitismus zu erkennen. Braucht es in so einer Atmosphäre aber wirklich sieben Professoren aus einem Expertenrat, um festzustellen, dass die Darstellungen eines Mannes mit Schläfenlocken und Fangzähnen oder eines Soldaten mit Schweinsnase und Mossad-Helm antisemitisch sind? Ich denke nicht.

Die Deutschen können stolz darauf sein, wie sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen.

Ron Prosor, Israels Botschafter

Hat insbesondere Deutschland Schwierigkeiten, Judenfeindliches als solches wahrzunehmen?
Nein, das ist in anderen Ländern oft schlimmer. Die Deutschen können stolz darauf sein, wie sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Aber man muss mehr Aufmerksamkeit auf linken Antisemitismus richten. Der Antisemitismus-Beauftragte des Bundes, Felix Klein, macht einen guten Job, insbesondere mit der gerade vorgestellten nationalen Strategie der Bundesregierung gegen Judenhass und für jüdisches Leben.

In Ihrer Antwort scheint ein „Aber“ mitzuschwingen.
An Israel wird nicht nur ein Doppelstandard gelegt, sondern genau genommen ein Dreifachstandard. Mit dem ersten Standard werden Autokratien und Diktaturen gemessen, von denen wird wenig erwartet. Mit dem zweiten Standard werden Demokratien gemessen, da können Kritiker strenger sein. Israel wird allein mit einem dritten Standard betrachtet. Da liegt die Messlatte so hoch, dass sie für jeden demokratischen Staat unerreichbar ist. Das gibt den Kritikern Israels immer die Möglichkeit, Israel zu dämonisieren und zu delegitimieren. Das wiederum hat vielerorts stille Boykotte zur Folge.

Stille Boykotte?
Zu diversen Anlässen werden Israelis einfach nicht eingeladen. Das macht aus der Sicht der Kritiker eigentlich keinen Sinn, denn gerade israelische Künstler und Wissenschaftler stehen überwiegend weit links vom Mainstream im jüdischen Staat.

Wir sind in der Siedlungsfrage nicht der gleichen Ansicht wie Europa.

Ron Prosor, Israels Botschafter

In Deutschland bereitet vielen die neue Regierung in Jerusalem Sorgen. Sie gilt als am weitesten rechts stehende seit der Gründung Israels. Wird Wahlsieger Benjamin Netanjahu den jüdischen Siedlungsbau in den besetzen Gebieten weiter vorantreiben?
Ja, es stimmt, die jetzige Regierung ist die am weitesten rechts stehende. Doch erinnern Sie sich, bitte: Als Ariel Scharon 2001 Premier wurde, war die Aufregung groß. Er verspeise Palästinenser zum Frühstück, warnten seine Gegner. Dann beschloss er 2004, die jüdischen Siedlungen im Gazastreifen räumen zu lassen und sich von dort einseitig komplett zurückzuziehen. Scharon tat dies, obwohl es auf palästinensischer Seite keinen Ansprechpartner gab und in Israel die Siedler heftig protestierten. Wir sind in der Siedlungsfrage nicht der gleichen Ansicht wie Europa, besonders wenn Teile Jerusalems als Siedlung bezeichnet werden.

Benjamin Netanjahu hat die jüngste Wahl gewonnen.
Benjamin Netanjahu hat die jüngste Wahl gewonnen.

© dpa/Abir Sultan

Zeigt der Besuch auf dem Tempelberg nicht, dass Israel bereit ist, mit dem Feuer zu spielen?
Wird der Besuch eines Christen an der Klagemauer als ein Spiel mit dem Feuer betrachtet? Ist der Besuch eines Moslems in der Grabeskirche ein Spiel mit dem Feuer? Minister Ben Gvir ist auf den Tempelberg gegangen und hat dabei den Status quo nicht verändert. Dieser besagt, dass Juden den Tempelberg besuchen dürfen. Premierminister Netanjahu betonte, dass sich Israel strikt an diesen Status quo hält. Während Israel daran arbeitet, die freie Religionsausübung für alle Mitglieder aller Religionen an den heiligen Stätten zu gewährleisten, sind es die Palästinenser, die die unbestreitbare Verbindung des jüdischen Volkes zu seinem Land und seinen heiligen Stätten in Frage stellen.

Deutschland wird weiter eine Zweistaatenlösung einfordern.
Politiker fordern gerne eine Zweistaatenlösung. Zum einen wollen sie einen jüdisch-demokratischen Staat. Aber fordern sie zum anderen auch einen demokratischen palästinensischen Staat? Die Antwort lautet: nein. Ein funktionierender Rechtsstaat sollte aber eine Minimalforderung an die Palästinenser sein. Nur so kann Frieden erzielt werden. Wir hatten gehofft, wenn wir aus Gaza abziehen, entsteht dort ein stabiles Staatengebilde. Diese Hoffnung hat sich als Illusion erwiesen.

Warum?
Die islamistische Hamas bekämpft uns, baut Tunnel und schickt durch sie Selbstmordattentäter nach Israel, feuert immer wieder Raketen ab. Dabei ist die Gleichung ganz einfach: Wenn es ruhig in Israel bleibt, herrscht auch Ruhe in Gaza. Verließe unsere Armee aber nun das Westjordanland, würde dort die Hamas in kurzer Zeit die Kontrolle übernehmen. Das kann Israel nicht zulassen.

Die Palästinenser warnen davor, dass Israels Siedlungspolitik ihre Forderung nach einem eigenen Staat konterkariere.
Die Palästinenser warnen davor, dass Israels Siedlungspolitik ihre Forderung nach einem eigenen Staat konterkariere.

© AFP/Ahmand Gharabli

Der deutsche, der europäische Blick auf den Nahen Osten verwundert Sie?
Ja. Viele in Europa haben nicht bemerkt, dass sich im Nahen Osten eine Zeitenwende abzeichnet.

Was meinen Sie damit?
Ich rede vom sogenannten Abraham-Abkommen aus dem Jahr 2020. Das sind weitreichende Vereinbarungen, um die Beziehungen zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und Sudan zu normalisieren. Das ist eine Zeitenwende in der Region! Vielen in Deutschland ist nicht bewusst, dass die Führungen der Länder dieses Abkommen geschlossen haben, weil sie der Meinung waren und sind, dass ihre Bevölkerungen unmittelbar davon profitieren. Denn dadurch entstehen lebenslange Verbindungen auf der Ebene der Bevölkerung. Es ist eine der Prioritäten der neuen Regierung Israels, den Kreis der Mitglieder des Abraham-Abkommens zu erweitern und zu vertiefen. Ich hoffe, ich kann das Projekt von Berlin aus unterstützen.

Berlin als Ausgangspunkt einer Friedensinitiative für den Nahen Osten?
Warten wir ab.

Katar hat in der Region an Renommee gewonnen.

Ron Prosor, Israels Botschafter

Stichwort Naher Osten: Gerade ist die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar zu Ende gegangen. Nicht nur in Deutschland wurde der Gastgeber für seine Frauen- und Minderheitenpolitik kritisiert. War die WM für das Emirat dennoch lohnend?
Die Kritik an Katar ist angebracht. Doch auch wenn man es in Europa anders sieht: Im Nahen Osten gilt die WM als Erfolg, obwohl Katar sie unter merkwürdigen Umständen bekommen hat. Allein dass sie überhaupt dort stattgefunden hat, dass sie organisatorisch weitgehend ohne Probleme über die Bühne ging, macht die arabische Welt stolz. Katar hat in der Region an Renommee gewonnen.

Der Nahe Osten kommt kaum zur Ruhe. Die Türkei droht mit einer Invasion in der Kurdenregion im Norden Syriens, das Regime von Baschar al Assad kontrolliert vor allem den Süden des Landes. Welche Interessen verfolgt Israel?
Wir haben nie gesagt, wer in Syrien regieren soll. Unser vorrangiges Interesse ist, dass der Iran dort keine Stellungen aufbaut. Dass dort keine Waffen stationiert werden, mit denen Israel angegriffen werden soll. Das gilt nicht zuletzt für die Hisbollah, Irans hochgerüsteten Verbündeten in der Region, der wöchentlich mit Waffen und Raketen aus dem Iran beliefert wird. Israel wird deshalb weiterhin verhindern, dass von Syrien eine Gefahr für das Land ausgeht.

Russland baut seine militärische Kooperation mit Teheran aus. Dazu gehört, dass iranische Drohnen im Ukrainekrieg eingesetzt werden. Wie gefährlich ist diese Allianz?
Sehr gefährlich! Nicht nur für Israel, sondern für die ganze Welt. Das Bündnis bereitet allen große Sorgen. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es jetzt, zu verhindern, dass der Iran seinen negativen Einfluss ausweitet und auch noch Regionen fernab des Nahen Ostens destabilisiert. Viele Israelis haben Sympathien für die Ukraine, weil sie genau wissen, wie es ist, das eigene Land gegen autokratische, diktatorische Regime zu verteidigen.

Im Iran lehnt sich das Volk gerade gegen die Mullahs auf. Werden die Machthaber gestürzt?
Leider kann man das im Moment nicht sagen. Aber fest steht: Das iranische Volk ist nicht mit den Herrschenden gleichzusetzen. Die Jüngeren in der Islamischen Republik wollen die Mullahs loswerden. Der Westen sollte die Aufstandsbewegung unterstützen. Es ist gut und beeindruckend, dass Deutschland eine Führungsrolle eingenommen hat, um die Sanktionen gegen die Mullahs und die Revolutionsgarden durchzusetzen.

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