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Erste Niederlage für Boris Pistorius. Kanzler Olaf Scholz verweigert seinem Verteidigungsminister den international zugesagten Etat in Höhe von zwei Prozent des BIP.

© Imago/NurPhoto/Emmanuele Contini

Rückschlag beim Haushalt 2024: Ist „Zeitenwende“ für Scholz nur ein Modewort?

Bei Kriegsbeginn hat der Kanzler dauerhaft „mehr als zwei Prozent“ fürs Militär versprochen. Im Etatplan fehlen sie. Die Ampel hat die neue Wirklichkeit in Europa noch immer nicht voll akzeptiert.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Ein Lesevergnügen sind die rund 2500 Seiten nicht, eher trockenes Zahlenwerk. Und doch nennt man sie „das Schicksalsbuch der Nation“. Am Haushaltsplan lässt sich ablesen, wo Regierung und Parlament die Prioritäten sehen – und setzen.

Wenn das Kabinett am Mittwoch den Entwurf für 2024 verabschiedet, wird es viele enttäuschte Gesichter geben. Anders als gewohnt steht nicht mehr Geld bereit als im Vorjahr, sondern 30 Milliarden Euro weniger. Nach den schuldenfinanzierten Mehrausgaben wegen Pandemie und Kriegsfolgen muss das Land zu einer nachhaltigen Finanzpolitik zurückkehren. Das erhöht den Druck, zwischen Wünschenswertem und Unverzichtbarem zu unterscheiden.

Können sich Politik und Gesellschaft bei allen begründeten Meinungsverschiedenheiten noch darauf einigen, was die drängendsten Prioritäten sind? Das alles überragende „Schicksal“ für Europa ist auf absehbare Zeit der Krieg in der Ukraine samt seinen Auswirkungen.

Ohne Sicherheit hat alles andere wenig Bestand

Deutschland und seine Partner in EU und Nato müssen ihre Kräfte darauf konzentrieren, ihre Sicherheit und Stabilität zu schützen. Denn Frieden ist zwar nicht alles. Aber ohne Frieden ist alles andere wenig wert.

Kanzler Olaf Scholz hat den russischen Angriff auf die Ukraine vor 16 Monaten als „Zeitenwende“ bewertet und zwei Dinge versprochen. Erstens die Einrichtung eines Sondervermögens von 100 Milliarden Euro zur Ausstattung der über Jahre vernachlässigten Bundeswehr. Zweitens: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“

Diese zwei Prozent sind im Etat 2024 nicht zu finden. Sie entsprächen einem Wehretat von etwa 71 Milliarden Euro. Stattdessen plant die Regierung mit 52 Milliarden Euro. Das wäre immerhin ein Zuwachs von zwei Milliarden. Besser ausrüsten kann sich die Bundeswehr damit aber nicht. Die zwei Milliarden werden allein für die Gehaltserhöhungen der Truppe gebraucht. Und die Inflation macht auch Waffenkäufe deutlich teurer.

Eine Hoffnung bleibt: Der Bundestag beschließt den Haushalt, nicht die Regierung. Er kann den Entwurf korrigieren.

Christoph von Marschall

Schlimmer noch: Der mittelfristigen Finanzplanung für die kommenden Jahre ist nicht zu entnehmen, ob und wann die Bundesregierung überhaupt vorhat, mehr als zwei Prozent zu erreichen. Jahr für Jahr werden die derzeit 1,5 Prozent fortgeschrieben.

Das alles geschieht wenige Tage vor dem Nato-Gipfel in Vilnius. Dort will die Allianz beschließen, dass zwei Prozent nicht eine unverbindliche Zielmarke sind, sondern das Minimum, das jedes Mitgliedsland leisten muss.  

Grüne zwischen Ukrainehilfe und Grundsicherung

Will Deutschland kein verlässlicher Alliierter sein? Jeder weiß, dass die Bundeswehr in vielen Bereichen „blank“ ist. War „Zeitenwende“ nur ein Wort, dessen Bedeutung Olaf Scholz selbst nicht mehr ernst nimmt?

Und wie sehen das seine Koalitionspartner? Die Grünen fordern eine konsequentere Unterstützung der Ukraine mit Waffen und Geld. Sie wollen aber nicht als eine Partei dastehen, die zähneknirschend hinnimmt, dass an der Grundsicherung von Kindern gespart wird, und die gleichzeitig 20 Milliarden mehr für Rüstung fordert.

FDP im Dilemma: Bundeswehr versus Schuldenbremse

Die FDP ist prinzipiell für die zwei Prozent, stellt aber auch den Finanzminister. Der hat die Rückkehr zu Schuldenbremse und Haushaltskonsolidierung versprochen.

Das Ifo-Institut hat Ökonomen zu den Prioritäten im Haushalt 2024 befragt. Die klare Mehrheit spricht sich für einen Verteidigungsetat von zwei Prozent oder mehr als zwei Prozent aus.

Nach dem Kriegsbeginn wirkten die „Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent“ wie ein kategorischer Imperativ, der keinen Spielraum für Ausflüchte lässt. 16 Monaten später ist die Formel offenbar wieder zu einer verhandelbaren Größe geschrumpft – wie vor dem Krieg.

Ausreden und Erklärungen sind rasch bei der Hand: Da sei ja noch das Sondervermögen zur Ausstattung der Bundeswehr. Wenn man die Ausgaben daraus jedes Jahr hinzurechne, sehe der Verteidigungsetat doch gleich viel besser aus. Und selbst wenn es 72 statt 52 Milliarden Euro wären: Wie wollte Verteidigungsminister Boris Pistorius die so schnell ausgeben angesichts der schleppenden Beschaffungsbürokratie?

Doch solche Einwände stechen kaum. Umgekehrt muss die Regierung erklären, wie sie je auf mehr als zwei Prozent kommen will, wenn das Sondervermögen weg ist. Und: Der anstehende Etat betrifft die Zeit bis Dezember 2024. In anderthalb Jahren sollte selbst eine langsame Behörde die dringendsten Beschaffungen bewältigen.

Eine Hoffnung bleibt: der Bundestag. Das Parlament beschließt den Haushalt. Es kann den Regierungsentwurf korrigieren – nach der Devise: Sicherheit kommt zuerst.

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