zum Hauptinhalt
Ein mit Getreide beladenes Frachtschiff in der Türkei.

© dpa/Khalil Hamra

Wladimir Putins Schwarzes Meer: Russland droht der internationalen Schifffahrt

Der russische Präsident will alle Schiffe im Schwarzen Meer mit Ziel Ukraine als Militärschiffe und die Flaggenstaaten als Konfliktparteien einstufen. Experten analysieren die Folgen dieser Drohung.

Es ist eine Drohung, die weltweit aufhorchen lässt. Nachdem das russische Verteidigungsministerium am Mittwoch angekündigt hat, alle Schiffe, die ukrainische Häfen ansteuern, als potenzielle militärische Ziele anzusehen, steigt in vielen Ländern die Nervosität.

Die Staaten, unter deren Flaggen die Schiffe fahren, will Russland als Konfliktparteien auf Seiten der Ukraine einstufen. Die Ansage aus Moskau hat es in sich, birgt sie doch viel Eskalationspotenzial.

Die USA warnen bereits vor russischen Angriffen auf zivile Schiffe, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert mehr Unterstützung beim Schutz der Häfen in seinem Land.

Wie umgehen mit dem Einschüchterungsversuch?

Das Ziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin liegt auf der Hand: Er will für Verunsicherung sorgen. „Putin eskaliert, nicht weil er die Konfrontation mit dem Westen sucht, sondern weil er darauf baut, dass wir ängstlich zurückweichen in unserer Unterstützung für die Ukraine“, sagt Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

Doch was bedeuten die russischen Drohungen für den internationalen Schiffsverkehr? Welche Folgen hat die Blockade für die Versorgung der Welt mit ukrainischem Getreide? Und wie geht es im Schwarzen Meer jetzt weiter?

Wer am Donnerstag auf Online-Seekarten die Schiffsrouten in der Region betrachtet, dem sticht sofort eins ins Auge: Vor der ukrainischen Küste sind so gut wie keine Frachter mehr unterwegs.

„Die internationale Schifffahrt dort beschränkte sich auf die im Rahmen des Getreideabkommens stattfindenden Exporte und ist seit drei Tagen faktisch zum Erliegen gekommen“, sagt Johannes Peters, der an der Uni Kiel zu maritimer forscht.

„Die Ukraine verfügte auch vor dem Kriegsausbruch über keine nennenswerte eigene Handelsflotte und auch nur über sehr wenige, kleine Marineeinheiten.“ Der Ukraine dürfte es damit kaum möglich sein, den Seehandel mit eigenen Kriegsschiffen abzusichern.

„Die entscheidende Frage ist, wie die USA darauf reagieren, die sich sonst die Freiheit der Schifffahrt auf die Fahne schreiben“, sagt Krause. „Geleitschutz ginge nur dann, wenn westliche Kriegsschiffe in das Schwarze Meer einfahren könnenderzeit sperrt die Türkei den Bosporus für alle Kriegsschiffe.“

Im internationalen Vertrag von Montreux aus dem Jahr 1936 wurde Ankara das Recht zugesprochen, die Meerenge vor Istanbul zu kontrollieren. Dass die türkische Regierung westliche Kriegsschiffe zum Schutz der Ukraine passieren lassen könnte, dafür gibt es bislang keine Anzeichen.

Der Schifffahrexperte Peters sieht Moskau damit derzeit im Vorteil. „Prinzipiell verfügt Russland über zahlreiche Möglichkeiten, die Schifffahrt zu behindern, da es im nördlichen Schwarzen Meer die Seekontrolle hat“, sagt er. Denkbar wäre etwa der Einsatz von Seeminen.

700.000
Tonnen Getreide wurden seit Beginn des Abkommens über den Schwarzmeer-Korridor in Hungerbrennpunkte verschifft.

Auch sei möglich, dass die russische Marine mit dem Hinweis auf möglichen Waffenschmuggel Schiffe anhält und durchsucht. Es ist eine Art psychologischer Kriegsführung, die den Schiffsverkehr so weit einschränken soll, bis er stillsteht. „Dafür sind meines Erachtens gar keine konkreten militärischen Handlungen nötig, sondern diffuse Drohungen ausreichend“, sagt Peters.

Was bedeutet die Blockade für den Welthunger?

In Europa wird deshalb bereits nach Alternativrouten über den Landweg gesucht, über die man etwa ukrainischen Weizen und Mais exportieren kann. „Hunderttausende von Menschen, um nicht zu sagen Millionen, brauchen dringend das Getreide aus der Ukraine“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock in Brüssel.

Tatsächlich sind Hilfsorganisationen wie das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) alarmiert. Denn neben den kommerziellen Exporten sind mit der Seeblockade auch Getreidelieferungen des Welternährungsprogramms durch den Schwarzmeer-Korridor in Hungerbrennpunkte ausgesetzt.

„Auf diesem Weg waren bisher mehr als 700.000 Tonnen Getreide, unter anderem nach Somalia, Afghanistan, Äthiopien und Jemen verschifft worden“, sagt Martin Rentsch, Sprecher des Berliner WFP-Büros.

„Ich halte es für nicht unwahrscheinlich, dass Russland sich zu Verhandlungen bereit erklären wird.“

Johannes Peters Leitet die Abteilung Maritime Strategie und Sicherheit am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

Zwar könne sich das WFP umorientieren und anderswo am Weltmarkt Getreide kaufen. „Das bedeutet jedoch längere und teurere Transporte, sodass wir mit denselben knappen Mitteln weniger Menschen erreichen können“, sagt Rentsch.

Noch gravierender sei, dass viele Menschen, die an der Schwelle zu Hunger stehen, nicht einfach woanders mehr bezahlen können. „Gestiegene Weltmarktpreise bedeuten für sie leere Teller – und letztlich auch mehr Hungernde weltweit.“

Wie sollte die Staatengemeinschaft jetzt vorgehen?

Eine Lösung des Problems könnte eventuell die Türkei bringen. „Von allen möglichen Akteuren könnte man sich bei ihr am ehesten vorstellen, dass Russland sie als ‚Schutzgarant‘ für Getreideexporte akzeptieren könnte“, sagt Peters. Allerdings stehe hier die Nato-Mitgliedschaft der Türkei im Weg, da die das Risiko einer „ungewollten Eskalation“ mit sich bringe.

Die entscheidende Frage ist, wie die USA darauf reagieren.

Joachim Krause, Leiter des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik

Deshalb wird wohl eine internationale Initiative für das Ende der russischen Seeblockade nötig sein. Peters sagt: „Völkerrechtlich ‚sauber“ wäre eine UN-Resolution, welche die Staatengemeinschaft zum Schutz der Getreidelieferungen auffordert und ermächtigt.“

Möglicherweise wird das aber gar nicht nötig und Russland lenkt von selbst ein. Denn mit dem Ende des Getreide-Deals schade sich das Land selbst, „weil es nun keine Grundlage mehr gibt, Russland den Export seines eigenen Getreides und seiner Düngemittel über das Schwarze Meer zu gestatten“, sagt Peters.

„Ich halte es daher für nicht unwahrscheinlich, dass Russland sich zu Verhandlungen bereit erklären wird.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false