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Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP).

© Imago/Noah Wedel

Update

Frankreichs Ukraine-Hilfe: Paris weist Vorwurf aus Berlin zurück

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Strack-Zimmermann, hält Frankreichs Militärhilfe für Kiew für „sehr überschaubar“. Doch ihr Pariser Amtskollege Gassilloud weist den Vorwurf zurück.

Leistet Frankreich in genügendem Umfang Militärhilfe für die Ukraine? Auch über diese Frage diskutierten Verteidigungspolitiker aus Deutschland und Frankreich am Montag in Berlin und lieferten einen Vorgeschmack auf den bevorstehenden EU-Sondergipfel. In Brüssel will Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag an wirtschaftsstarke EU-Partner wie Frankreich, Spanien oder Italien appellieren, das finanzielle Volumen ihrer Militärhilfe für Kiew zu erhöhen.

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Pariser Nationalversammlung, Thomas Gassilloud, wies den Vorwurf von deutscher Seite zurück, dass Frankreich bei der Ukraine-Hilfe weit hinter seinen militärischen Möglichkeiten zurückbleibe. „Frankreich steht seit dem 24. Februar 2022 an der Seite der Ukraine“, sagte Gassilloud dem Tagesspiegel. Ende 2023 habe das Volumen der Militärhilfe an Kiew 3,4 Milliarden Euro erreicht. Dagegen hatte Scholz erklärt, dass Deutschland in diesem Jahr über sieben Milliarden Euro für die Ukraine gebe. Das sei mehr als die Hälfte der Hilfe aller EU-Staaten, so Scholz

Nach den Worten von Gassilloud spiegele etwa die Auflistung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) nicht die tatsächlich von Frankreich geleistete Militärhilfe wieder. Zuletzt hatte das Institut mitgeteilt, dass die zugesagte Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft für die Ukraine zwischen August und Oktober im Vergleich zum Vorjahr um knapp 90 Prozent zurückgegangen war.

Der französische Verteidigungspolitiker Gassilloud erklärte indes mit Blick auf die bislang tatsächlich geleistete Militärhilfe, dass es nur einen geringen Unterschied zwischen den Beiträgen Deutschlands und Frankreichs gebe. Den bis Ende 2023 von Paris geleisteten Militärhilfen im Umfang von 3,4 Milliarden Euro stehe ein deutscher Beitrag von 5,66 Milliarden Euro gegenüber, sagte er. Einen Gleichstand gebe es, wenn man die Zahlen ins Verhältnis zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt setze: In Frankreich ergebe sich ein Anteil von 0,13 Prozent, während es im Fall Deutschlands 0,14 Prozent seien. Zudem habe Frankreich hochwertiges Gerät an die Ukraine geliefert, etwa Caesar-Haubitzen oder Langstreckenraketen vom Typ „Scalp“.

Es gehe bei der gelieferten Waffentechnik eher um Effizienz als um Zahlen, sagte der zum Lager des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gehörende Politiker weiter. Zudem habe Frankreich bei der Lieferung von Kampfpanzern die Rolle eines Türöffners gespielt, während man in Berlin noch gezögert habe. Schließlich rief der französische Verteidigungspolitiker die Stationierung von 1000 Soldaten in Rumänien innerhalb einer Woche zu Beginn des Ukraine-Krieges in Erinnerung: „Die Reaktionsgeschwindigkeit bleibt ein wichtiger Trumpf der französischen Streitkräfte, welcher der gemeinsamen Verteidigung Europas zugute kommt.“

Zuvor hatte die Chefin des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, mehr Waffenlieferungen Frankreichs an die Ukraine gefordert. Es gebe im Nachbarland „noch eine große Diskrepanz zwischen der medialen Unterstützung der Ukraine und dem, was Frankreich an tatsächlichen Waffenlieferungen an die Ukraine leistet“, hatte die FDP-Politikerin dem Tagesspiegel gesagt.

Strack-Zimmermann hatte das deutsch-französische Verhältnis als „elementare Basis“ für eine größere Eigenständigkeit Europas bezeichnet. Mit Blick auf die Militärhilfen für die Ukraine kritisierte sie aber, dass der Beitrag Frankreichs im Vergleich zu den militärischen Möglichkeiten des Nachbarlandes „noch sehr überschaubar“ sei.

Herausforderung für Europas Verteidigungspolitik

Bei dem Treffen der Verteidigungspolitiker beider Länder ging es am Montag auch um die Frage, wie sich beide Länder aufstellen sollen, falls dem früheren US-Präsidenten Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl im November ein Wiedereinzug in Weiße Haus gelingen sollte.

Für diesen Fall könnte auch eine Rede neue Aktualität erhalten, die Macron im Februar 2020 in der Pariser „École de Guerre“ gehalten hatte. An dem Ort, wo Generäle und Stabsoffiziere ausgebildet werden, hatte der Staatschef den Europäern einen „strategischen Dialog“ über die atomare Abschreckung angeboten. Macron hatte seinerzeit die EU-Partner eingeladen, an Übungen der französischen Atomstreitkräfte teilzunehmen.

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron bot 2020 den europäischen Partnern einen „strategischen Dialog“ über die atomare Abschreckung an.
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron bot 2020 den europäischen Partnern einen „strategischen Dialog“ über die atomare Abschreckung an.

© AFP/Ludovic Marin

Könnte also der amerikanische nukleare Schutzschirm für Europa durch einen französischen Schutzschirm ersetzt werden? Nach den Worten des für Verteidigungspolitik zuständigen Unionsfraktionsvizes Johann Wadephul (CDU) ist es „höchste Zeit, dass wir in Deutschland sehr viel breiter und fundierter über Nuklearfragen diskutieren“. „Bisher herrscht hier weitgehende Ratlosigkeit oder tabuisierende Stille“, sagte Wadephul dem Tagesspiegel weiter.

Allerdings werde dies der heutigen sicherheitspolitischen Lage und etwaigen zukünftigen Entwicklungen absolut nicht gerecht, kritisierte er. „Ob und welche Rolle die französischen und auch die britischen Nuklearwaffen für Europas Verteidigung spielen können und sollen, hängt aber vor allem davon ab, wie diese beiden Partner bereit sind, mit ihren Verbündeten in dieser Frage zu kooperieren“, gab Wadephul zu bedenken.

Es ist unklar, welche Rolle Frankreich selbst für sein Nukleararsenal im Rahmen einer eigenständigeren europäischen Verteidigung anstrebt.

Johann Wadephul, Vize-Vorsitzender der Unionsfraktion

Der CDU-Politiker wies zudem darauf hin, dass Macron in seiner Rede 2020 seinerzeit „mit keinem Wort irgendeine Form von Teilhabe“ an Frankreichs Nuklearstreitmacht, der „Force de frappe“, angeboten habe.  Laut Wadephul ist unklar, „welche Rolle Frankreich selbst für sein Nukleararsenal im Rahmen einer eigenständigeren europäischen Verteidigung anstrebt“. Allerdings müsse die Bundesregierung, wenn sie die selbst erklärte „Zeitenwende“ ernst nehme, auch Fragen der nuklearen Abschreckung mit Partnern diskutieren. „Und hier steht Frankreich an erster Stelle, weswegen man auf das Angebot Macron zu Konsultationen eingehen sollte“, forderte der Verteidigungspolitiker.

Gleichzeitig dürfe aber nicht der Eindruck entstehen, man gebe die nukleare Teilhabe zusammen mit den USA auf, so Wadephul. „Das wäre leichtfertig und ein grober Fehler, der die Nato insgesamt schwächen würde“.

Das Fazit des CDU-Politikers: „Es mag deprimierend sein, dass nukleare Fragen dreieinhalb Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges wieder aktuell sind. Doch den Kopf in den Sand zu stecken, wäre fahrlässig.“

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