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In Meseberg ist die Stimmung gut - aber das ist nicht immer der Fall bei der Ampel.

© IMAGO/Political-Moments/imago

Stephan Lambys Reportage über Ampel und Ukrainekrieg: Wie die Tagesthemen im Zeitraffer

In seinem Film „Ernstfall - Regieren in Zeiten des Krieges“ brachte Stephan Lamby viel Verständnis für die Ampel auf. Sein Buch ist kritischer und zeigt frühe Risse der Koalition.

Stephan Lamby genießt im politischen Berlin einen zwiespältigen Ruf. Mitunter stöhnt man in den Pressestellen, wenn sich der Autor und Filmemacher mal wieder meldet, um mit seinen Kamerateams maximalen Zugang zu erfragen. Und doch erhält er meist einen tieferen Einblick als die meisten Außenstehenden, weil er sich eben auch den Ruf erarbeitet hat, fair zu berichten. Und so kann man Lamby in seinem neuen Werk in allen Ecken der Welt beobachten. In Äthopien, Moldau, den Arabischen Emirate, Paris, Vilnius, Peking oder Shanghai, aber auch in Leuna oder Nünchritz – wo die Mächtigen sind, ist auch Lamby.

Herausgekommen ist eine 90-minütige Dokumentation, die in der ARD zur besten Sendezeit lief. „Ernstfall - Regieren in Zeiten des Krieges“ hat viel Aufmerksamkeit erhalten, aber auch den Vorwurf, zu unkritisch mit den Regierenden umgegangen zu sein. Tatsächlich stehen Robert Habeck, Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Christian Lindner im Film häufig bedeutungsschwanger am Fenster, oftmals unterlegt mit dramatischer Musik. Das knapp 400 Seiten dicke Buch kommt ohne solche Szenen und Kunstgriffe aus – und spart dennoch nicht mit Kritik.

Eigentlich ist das Buch eine Fortsetzung. 2021 hatte Lamby in „Wege zur Macht“ die Kanzlerkandidaten von Union, SPD und Grünen durch den Wahlkampf begleitet und den langsamen Abschied von der Ära Angela Merkel verfolgt. Wie in einer Serie sind bis auf den gescheiterten Armin Laschet in „Ernstfall“ weiter alle Protagonisten zu beobachten. Doch anders als in Teil 1 erfahren Scholz, Baerbock, Habeck und Lindner nun, was es bedeutet, an der Macht zu sein und Krisen managen zu müssen.

Stephan Lamby ist seit Jahren für seine politischen Dokumentationen bekannt.

© dpa/Kay Nietfeld

Lange hält sich Lamby daher auch nicht mit den Feierlichkeiten der neuen Regierung auf, die versteckt in Hinterzimmern mit einem Glas Sekt beginnen, sondern sammelt Hinweise, deren Tragweite der breiten Öffentlichkeit erst Monate später bewusst werden. Etwa die fast leeren Gasspeicher, die Aufstockung der russischen Truppen, die Verteilung von 100.000 russischen Blutkonserven oder ein Schreiben der Firma Rosneft Oil Company an das Bundeskartellamt. Der Energiekonzern mit Sitz in Moskau meldet Interesse an, sein Engagement bei der PCK Raffinerie im brandenburgischen Schwedt auszubauen.

Heute ist die Geschichte bekannt, doch damals tappten die neugewählten Protagonisten im Dunkeln. Was bei Lamby gesammelt und geordnet wird, ist für die Ampel zunächst ein Verwirrspiel, das in der Katastrophe endet. Habeck und Scholz verabreden sich noch, ihre Handys neben dem Bett angeschaltet zu lassen – dann beginnt der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.

Minutiös arbeitet sich der Autor durch die ersten Kriegsstunden und Tage. Die Ereignisse überschlagen sich, und die junge Regierung muss im Eiltempo jahrzehntelange Positionen der Bundesrepublik räumen. Waffenlieferungen an die Ukraine, Aufrüstung der Bundeswehr, eine neue Gasinfrastruktur, Milliardenhilfen gegen die hohen Energiepreise.

Früh zeigen sich Risse in der jungen Koalition

Lamby zu lesen, ist ein bisschen wie die Tagesthemen im Zeitraffer zu verfolgen, allerdings mit mehr Hintergrund. Lamby konzentriert sich auf das Geschehen im Machtzentrum, so spricht er vor allem mit dem Kanzler, den Ministern für Wirtschaft, Finanzen, Verteidigung und der Außenministerin. Wie es Oppositionsführer Friedrich Merz oder Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ergeht, erfährt man nicht.

Dabei zeigen sich schon in den ersten Kriegstagen Risse zwischen den Beteiligten, die in den kommenden Monaten zu Wunden werden. Baerbock beobachtet argwöhnisch Habecks viele Reisen auf der Suche nach neuen Energielieferanten, bei der Task Force zu Sanktionsdurchsetzungen gönnen sich Habeck und Lindner keine Erfolge, Scholz lässt die Grünen-Spitze beim Sondervermögen im Unklaren und die Lästereien über die unglückliche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht beginnen. Mit dem Blick von heute bringt Lamby Ordnung in das Chaos der ersten Ampel-Monate.

Die Koalition hat mehr Angst vor den deutschen Autofahrern als vor Wladimir Putin.

Stephan Lamby über den Tankrabatt.

Doch er bringt in seinem Buch auch viel Verständnis für das Handeln der Ampel auf. Der Stress, die Übermüdung und die Sorge vor einer Eskalation sind beim Lesen fast greifbar. Ab und zu wagt der Beobachter Lamby aber auch ein Urteil, etwa über die Milliarden für den Tankrabatt. „Die Koalition hat mehr Angst vor den deutschen Autofahrern als vor Wladimir Putin“, kommentiert er süffisant.

Meist verpackt Lamby seine Kritik jedoch eher dezent zwischen den Zeilen. Vor allem bei Außenministerin Baerbock fällt auf, dass der Autor ihre diplomatischen Misserfolge in Mali oder Peking aufzählt und ihre wertebasierte Außenpolitik hinterfragt. Es gebe auch keine Friedensinitiative des Auswärtigen Amts, bemerkt Lamby: „Die überlassen die deutschen Diplomaten Ländern wie Brasilien, Südafrika oder China und beklagen mangelnde Ernsthaftigkeit und geringe Erfolgsaussichten.“

Erst in seinem kurzen Epilog lässt sich Lamby zu einer Bilanz hinreißen, thematisiert dort aber ein Thema, dem er sich nur am Rande gewidmet hat: „Man muss kein radikaler Aktivist sein, um zu erkennen, dass das viel gerühmte Deutschland-Tempo beim Ausbau des Landes nicht ausreicht“, schreibt er über die Klimaschutzbemühungen der Ampel. Man werde auf verlorene Jahre zurückblicken, prognostiziert er.

Insgesamt überwiegt jedoch das Verständnis, vor allem über die Entscheidungen in Folge des Ukrainekrieges: „Man muss der Mannschaft von Olaf Scholz zugutehalten, dass sie in der größten internationalen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg Schlimmeres verhindert hat. Das klingt klein, ist es aber nicht.“ Auch in Zukunft dürfte Stephan Lamby Zugang zu den Mächtigen erhalten.

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