zum Hauptinhalt
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident von Hessen, lässt sich bei der CDU-Wahlparty von seinen Anhängern feiern.

© dpa/Lando Hass

Wiesbaden hat einen König Boris: Rhein sucht eine Koalition der Mitte

Der amtierende Ministerpräsident kann sich zwischen den Grünen oder der SPD entscheiden. Vielleicht sind CDU-Inhalte mit den schwachen Sozialdemokraten leichter umzusetzen.

Um 18.20 Uhr, wenige Minuten nach dem Schließen der Wahllokale, fehlen auf der CDU-Wahlparty im hessischen Landtag nur zwei Dinge: Sauerstoff und der strahlende Wahlsieger, Boris Rhein. Als er dann in den brechend vollen Fraktionssaal kommt, der 35-Prozent-Mann, bricht Jubel aus. „Boris! Boris! Boris!“-Rufe, rhythmisches Klatschen. Die CDU hat die Wahl in Hessen mit einem starken Ergebnis gewonnen, einem, das selbst manche in der CDU nicht erwartet haben. Boris Rhein ist das Gesicht dazu.

Laut der Hochrechnung um 20.19 Uhr gewinnen die Christdemokraten um ihren Ministerpräsidenten an diesem Sonntag mehr als sieben Prozentpunkte dazu, landen bei 34,3 Prozent. Insgesamt verschiebt sich die politische Landschaft in Hessen damit nach rechts: Denn auf Platz Zwei landet mit starken 17,9 die AfD und schüttelt damit ihr Image als bedeutende politische Kraft nur im Osten des Landes endgültig ab. Bundesinnenministerin und SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser dagegen erlebt einen enttäuschenden Abend, eine bittere Niederlage.

Schwaches Ergebnis: Nancy Faeser (SPD) bleibt wohl im Bundeskabinett trotz des schwachen Abschneidens in Hessen.
Schwaches Ergebnis: Nancy Faeser (SPD) bleibt wohl im Bundeskabinett trotz des schwachen Abschneidens in Hessen.

© IMAGO/Political-Moments/imago

Die Bundesinnenministerin landet mit 15,1 Prozent hinter der AfD. Das wollte man sich auf der Wahlparty der Partei in Wiesbaden kurz vor 18 Uhr kaum vorstellen. Aber nun sieht alles danach aus. Es ist nur ein schwacher Trost, dass man zumindest die Grünen (14,6 Prozent) um Tarek al-Wazir hinter sich lassen konnte. Die FDP zitterte noch bis zum späten Abend, schaffte dann aber mit 5,0 Prozent ganz knapp in den Landtag.

Schweiß und Jubel bei der CDU

CDU und SPD bilden an diesem lauen Herbstabend in Wiesbaden die beiden Stimmungspole. Schweiß und Jubel bei den Schwarzen, betretene Mienen bei den Roten. Doch am Ende könnten sie womöglich zusammenfinden, könnten sich Jubel und hängende Mundwinkel in einer Koalition treffen. Dann wäre für die SPD alles nur „halb so schlimm“, so formulierte es ein junger Genosse auf der Wahlparty. Hans Eichel, das war 1999, war der letzte Sozialdemokrat, der in Hessen regierte. Die SPD will raus aus fast einem Vierteljahrhundert Daueropposition im einstigen Kernland.

Stil und Stabilität und sanfte Erneuerung wurden an diesem Tag gewählt!

Boris Rhein, CDU, hessischer Ministerpräsident

Die Sozialdemokraten hoffen also; hoffen, dass Boris Rhein aus seiner Position der Stärke heraus die seit 2013 währende Koalition mit den Grünen hinter sich lässt. Für diese Möglichkeit spricht: Beide Zweierbündnisse hätten stabile Mehrheiten im Parlament. Beide Koalition sind in Hessen ähnlich beliebt. Anders als sein Vorgänger, der Bauchpolitiker Volker Bouffier, achtet Rhein auf so etwas.

Ein euphorischer Boris Rhein

Euphorisch ist Boris Rhein an diesem Abend, das ist ihm anzusehen. Vor seinen Amtsvorgängern Roland Koch und Bouffier spricht er von einem „historischen Tag“. Rhein sendet auch eine Nachricht nach Berlin, an die Ampel-Regierung und, so hören es manche heraus, auch an die eigene Parteiführung: „Stil und Stabilität und sanfte Erneuerung wurden an diesem Tag gewählt!“ Er wolle nun eine „Koalition der Mitte“ bilden. Die Antwort auf die Frage, wo diese „Mitte“ liegt, hat bundespolitische Relevanz und kann vielleicht sogar für Bundestagswahl 2025 von Bedeutung sein. Parteichef Friedrich Merz sieht die Grünen derzeit nicht als richtigen Partner. Wie sieht es Rhein, der spätestens jetzt auch eine bedeutende Stimme in der Partei ist?

Mit den Grünen regiert die CDU in Hessen seit 2013 - und zwar weitgehend geräuschlos. Die Koalition mit dem pragmatischen Spitzengrünen al-Wazir funktioniert auch unter Rhein gut. Der Amtsinhaber sprach vor der Wahl von einer „zuverlässigen, pragmatischen und vertrauensvollen Zusammenarbeit“ und inszeniert sich auch lebensweltlich gut zu den Grünen passend: Der in Frankfurt am Main geborene Jurist gibt als Hobbys gern Rennrad fahren und Joggen an und zeigte sich im ersten Jahr seit der Amtsübernahme von Bouffier als ausgleichender und moderner Landesvater. Klingt erstmal kaum nach Wechsel.

Wie steht Rhein zu Merz?

Zu belasten scheint das Bündnis aber die bundespolitische Lage. CDU-Parteichef Friedrich Merz hat die Grünen als Hauptgegner auserkoren. Rhein aber trennt, gerade im Wesen, vieles von Merz. Eine Einmischung aus der Parteizentrale in Berlin scheint vielen in der Partei unwahrscheinlich. Dafür fehle Merz die Kraft, heißt es. Aber das braucht es gar nicht: Auch an der Basis der hessischen CDU sind die Grünen bei vielen mehr akzeptiert als geachtet. Grüne und CDU trennt politisch noch immer viel: in der Energiepolitik, in der Wirtschaftspolitik und in der Migrationspolitik sowieso, auch wenn die Grünen sich zuletzt auf die Christdemokraten zubewegten. Das Problem: Diese drei Themen spielen laut Infratest dimap bei der Wahlentscheidung der Menschen die größte Rolle.

CDU-Chef Friedrich Merz, CSU-Vorsitzende Markus Söder und Rhein bei einem gemeinsamen Auftritt vor der Wahl. Durch seine Wiederwahl hat Rheins Stimme jetzt auch mehr Gewicht in der Bundespartei.
CDU-Chef Friedrich Merz, CSU-Vorsitzende Markus Söder und Rhein bei einem gemeinsamen Auftritt vor der Wahl. Durch seine Wiederwahl hat Rheins Stimme jetzt auch mehr Gewicht in der Bundespartei.

© picture alliance/dpa/Peter Kneffel

Das alles könnte für einen Wechsel sprechen, fürchtet man am Sonntagnachmittag bei den hessischen Grünen. Und da ist noch eine Sorge: Rhein könnte sich vom schwarz-grünen Übervater Bouffier emanzipieren wollen und selbst etwas Neues wagen. Eine Ära Rhein prägen, mit möglichst viel CDU-Inhalten – das wäre mit einer schwachen SPD womöglich leichter möglich.

Gegen den Wechsel spricht die Verfasstheit der hessischen SPD, das historisch schlechteste Ergebnis in Hessen. Zwar wechselt die unbeliebte Spitzenkandidatin nicht in den hessischen Landtag, sondern bleibt voraussichtlich Innenministerin. Olaf Scholz hat ihr dem Vernehmen nach einen Verbleib im Amt zugesagt, selbst bei einem schlimmen Ergebnis wie diesem. Doch die Partei wird sich erstmal sammeln müssen.

Volker Bouffier, inzwischen 71 Jahre alt, steht auf der Wahlparty der CDU ganz vorn. Hände schütteln, Schulter klopfen, Interviews. Sein Wort hat immer noch Gewicht in der Partei. Bouffier ist der Vater der schwarz-grünen Koalition in Wiesbaden. Am Rande der Feier sagt er dem Tagesspiegel: „Ich erteile meinem Nachfolger sicher keine Ratschläge, die braucht er auch nicht.“ Wichtig sei, dass eine Koalition nicht nur einige Wochen, sondern für fünf Jahre stabil bleiben müsse. Angesprochen auf ein Wahlkampfvideo der SPD, das die CDU in die Nähe der AfD rückte, sagte Bouffier dem Tagesspiegel aber: „Die Sozialdemokratie hat sich damit keinen Gefallen. Am Ende müssen die Inhalte entscheiden, aber emotional war das ein Schuss in den Ofen.“

Dem Grünen-Mann al-Wazir rechnen viele in der CDU hoch an, dass er die SPD ungewöhnlich scharf angriff für den Wahlwerbespot und das Video als „kleines schmutziges Stück Propaganda“ bezeichnete. So harte Worte hört man vom Grünen-Realo selten. In der CDU kam das gut an. Die grüne Wissenschaftsministerin Angela Dorn warb im „Hessischen Rundfunk“ schon am Abend für eine Neuauflage des Bündnisses.

Wahlsieger Rhein sagte, was er schon vor dem Sonntag gesagt hatte, er wolle in den kommenden Tagen mit beiden möglichen Partnern reden. Die konstituierende Sitzung des neuen Landtags ist bisher für den 18. Januar 2024 angesetzt. Die Mitte aushandeln, wenn man so will, das dauert eben. Das Ergebnis könnte Strahlkraft über Wiesbaden hinaus entfalten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false