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Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin, und Kai Wegner (CDU), Spitzenkandidat, geben sich im Berliner Abgeordnetenhaus in einem TV-Studio die Hand.

© dpa/Jörg Carstensen

Keine wirksame Verwaltungsreform absehbar: Die organisierte Unzuständigkeit in Berlin wird bleiben

Die Floskel „auf Augenhöhe regieren“ trendet derzeit inflationär. Doch das ist politische Augenwischerei. Für Berlin verheißt das nichts Gutes.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Beim politischen Bullshit-Bingo ist das Wort „Augenhöhe“ gerade ein Volltreffer: Bettina Jarasch forderte von Franziska Giffey als Bedingung für die Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition ein Regieren „auf Augenhöhe“. Giffey lehnte ab, aber erwartet von Kai Wegner jetzt als Voraussetzung für eine schwarz-rote Koalition genau das: ein Regieren „auf Augenhöhe“.

Und Kai Wegner? Der Wahlsieger bietet Giffey generös ein gemeinsames Regieren an, natürlich: „auf Augenhöhe“.

Dabei wissen alle Beteiligten, dass es ein Regieren auf Augenhöhe nicht gibt: Wer im Roten Rathaus sitzt, zu dem wird aufgeschaut, und der oder die schaut im Amtszimmer vom Balkon aus zwangsläufig auf andere herab. Das kann auf demonstrative Weise geschehen, wie es Giffey liebte, oder auf mehr subtile Art, wie es sich bei Wegner andeutet.

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Aber die Basis für eine erfolgreiche politische Zusammenarbeit in einer Koalition und in einem Senat ist gegenseitiger Respekt, nicht die Behauptung einer scheinbaren Gleichheit.

Auf dem natürlichen Machtgefälle, das durch jede auch noch so kleine Mehrheit an Stimmen und Sitzen zwangsläufig entsteht, gerät jede geforderte, gewünschte oder versprochene Augenhöhe ins Rutschen.

Bei einem Abstand von zehn Prozentpunkten ist ein unterschiedliches Kräfteverhältnis ohnehin selbstverständlich. Augenhöhe in der Politik ist deshalb bestenfalls eine Schimäre. In Berlin steht sie schlimmstenfalls der wichtigsten Aufgabe jeder Regierung im Weg: endlich die organisierte Unzuständigkeit zu beenden.

Eine wirksame Verwaltungsreform ist Illusion

Wer nach der Wiederholungswahl Hoffnung hatte auf eine wirksame Verwaltungsreform, die allein dieses Grundübel der Berliner Verfasstheit überwinden könnte, kann sie jetzt, nach den Sondierungsgesprächen, allerdings fahren lassen. In den kommenden dreieinhalb Jahren bis zur nächsten Wahl wird es dazu nicht kommen. Und das hat drei Gründe.

Die SPD zeigt Grünen und Linken den gestreckten Mittelfinger.

Lorenz Maroldt, Tagesspiegel-Chefredakteur

Erstens: Mit der Anmaßung, aus dem knappen Rückstand zur SPD ableiten zu können, dass bei einer Fortsetzung der bisherigen Koalition die Regierende Bürgermeisterin nur noch Gleiche unter Gleichen ohne fachliche Zuständigkeit wäre, konterkarieren die Grünen inhaltlich ihre sinnvollen Vorschläge für eine Neuordnung der Verantwortlichkeiten zwischen und auf den Ebenen von Haupt- und Bezirksverwaltungen.

Zugleich nährt die geforderte Schwächung des Amts der Regierenden Bürgermeisterin Zweifel am bekundeten ernsthaften Willen, die Interessen der Stadt in dieser Sache über das der Partei zu stellen.

Zweitens: Mit ihrer Sondierungsanalyse und der Koalitionspräferenz, die mitten in die Gespräche von CDU und Grünen platzte oder besser: von ihr so platziert wurde, hat die SPD ihren bisherigen Koalitionspartnern nicht nur die kalte Schulter, sondern den gestreckten Mittelfinger gezeigt.

Nichts und niemand wird Grüne und Linke bis zum Ende der Legislaturperiode dazu bringen, einem Projekt von Schwarz-Rot im Parlament zum Erfolg zu verhelfen. Das gilt auch für eine umfassende Verwaltungsreform, für die es einer Änderung der Verfassung und damit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament bedarf. Davon ist Schwarz-Rot weit entfernt.

Drittens: Die CDU ist so dermaßen happy, bald endlich wieder regieren zu dürfen, dass sie sich plötzlich etwas zu sehr bemüht, Everybodys Darling zu sein. Das kann allerdings leicht dazu führen, dass sie Everybodys Armleuchter wird.

Das Augenhöhe-Angebot an Giffey und die zur Schau gestellte Bescheidenheit verschaffen dem künftigen Regierenden Bürgermeisters zwar Sympathiepunkte; zugleich schwächt er damit aber seine Position und lädt zum Widerspruch ein.

Wer eine wirksame Verwaltungsreform durchsetzen will, muss Widerstand überwinden und macht sich dabei zwangläufig erst einmal unbeliebter bei allen, die bei einem solchen Prozess Geld, Einfluss, Macht oder auch nur ihre Gewohnheiten infrage gestellt sehen. Das aber wird sich Wegner mit Blick auf die nächste Wahl weder leisten können noch wollen.

Und so ist die Ausgangslage denkbar ungünstig für einen dringend notwendigen Fortschritt in Sachen Verwaltungsmodernisierung während der dreieinhalb Jahre dieser verbleibenden Legislaturperiode: Eine wütende Opposition aus Grünen und Linken stünde einer Koalition gegenüber, deren Spitzenleute sich vom ersten Moment an mit Blick auf die kommende Wahl belauern.

Verlockende Symbolpolitik bei CDU – parteiinterne Zerrissenheit bei SPD

Erschwert wird die Lage durch die Regierungsentwöhnung der CDU einerseits sowie das Selbstverständnis und die Zerrissenheit der SPD andererseits. Bei der CDU ist die Verlockung groß, Symbolhaftes über Substanzielles zu stellen und Entscheidungen der vergangenen Jahre schlicht zu kassieren.

Und die SPD ist jetzt vor allem darum bemüht, ihr in Jahrzehnten gewachsenes Karrierenetzwerk zu retten. Zugleich haben es die geschwächten Vorsitzenden Giffey und Raed Saleh, die beide ihre Direktmandate spektakulär verloren, mit einer starken innerparteilichen Opposition zu tun.

Ausgestreckte Hand und „Regieren auf Augenhöhe“ – wird Kai Wegners Versprechen halten?
Ausgestreckte Hand und „Regieren auf Augenhöhe“ – wird Kai Wegners Versprechen halten?

© dpa/Fabian Sommer

Wenn Wegner also Giffey ein Regieren „auf Augenhöhe“ verspricht, so geht es ihm dabei auch um die Stabilität in der Koalition. Das Misstrauen und die Ablehnung, die ihm aus Teilen der SPD entgegenschlagen, versucht er auf diese Weise zumindest für den Start in die Verhandlungen zu kompensieren.

Wenn die Koalition dann mal steht, sieht die Sache schon von selbst anders aus. Denn im Gegensatz zur bisherigen Dreierregierung, bei der Grüne und Linke immer in der Lage waren, die SPD und damit die Regierende Bürgermeisterin im Senat zu überstimmen, muss sich Wegner in einer Zweierkonstellation nur seiner eigenen Leute versichern, um die Oberhand und damit das letzte Wort zu behalten.

Und noch etwas kommt hinzu: Anders als Giffey hat Wegner jederzeit, und das heißt auch schon während der bald beginnenden Verhandlungen mit der SPD, in den Grünen eine realistische zweite Option.

Giffey dagegen hat sich ihm ausgeliefert: Zu ihren bisherigen Partnern, die sie als unzuverlässig darstellt, wurden von ihr alle Rathausbrücken gesprengt. Das Wort „Augenhöhe“ kommt in Berlin also ziemlich bald wieder aus der Mode.

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