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Annalena Baerbock.

© imago/photothek/IMAGO/Florian Gaertner

Sondersitzung der UN zum Ukraine-Krieg: Der Westen und der Rest der Welt sind sich doch noch einig

Die Befürchtung, dass nur Europa und Amerika geschlossen hinter der Ukraine stehen, war falsch. Die Generalversammlung verurteilt Russland so hart wie vor einem Jahr. Eine Analyse.

| Update:

Ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat die UN-Vollversammlung erneut in einer Dringlichkeitssitzung getagt. In vier Resolutionen hatte sie Moskaus Vorgehen seit dem Märt 2022 mit überwältigender Mehrheit verurteilt: dreimal mit jeweils 140 oder mehr Ja-Stimmen, fünf Neins und drei Dutzend Enthaltungen. Einmal mit geringerer Unterstützung.

Vor der Abstimmung in New York in der Nacht zu Freitag (MEZ) gab es die Befürchtung, dass es diesmal anders ausgehen würde. Dass Russland einige Länder des Globalen Südens auf seine Seite gezogen habe. Doch es kam anders. Erneut verurteilten 141 Länder Russland, sieben stimmten mit Nein, 32 enthielten sich.

Der Grund der Skepsis: Für viele Menschen im sogenannten „Globalen Süden“ ist „der Ukrainekrieg nicht unser Krieg“. Das hatten auch die Debatten bei der Münchner Sicherheitskonferenz gezeigt. Darunter sind internationale Schwergewichte wie Ägypten als eine Führungsmacht arabischer Staaten, Brasilien als Orientierungspunkt in Südamerika, Indien und Indonesien als Anführer der Neutralen sowie Südafrika als Stimme des afrikanischen Kontinents.

Baerbock: Die UN-Charta ist der beste Friedensplan

Außenministerin Annalena Baerbock hatte in ihrer Rede dafür geworben, dass auch die fünfte Resolution mit klarer Mehrheit gegen Russland verabschiedet wird. Die UN-Charta sei der beste Friedensplan. Nach deren Vorgaben muss sich Aggressor Russland zurückziehen und ist jede Hilfe für die Ukraine völkerrechtlich legitim.

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„Heute muss sich jeder von uns entscheiden: mit dem Unterdrücker isoliert dastehen – oder für den Frieden zusammenstehen“, sagte die Grünen-Politikerin bei ihrer Rede. Unter Verweis auf die UN-Charta sagte Baerbock weiter: „Jeder Einzelne von uns hier hat heute die Gelegenheit, zu diesem Friedensplan beizutragen. Indem Sie dem Aggressor sagen, dass er aufhören muss.“

China und Russland arbeiten daran, die internationale Einstellung zum Ukrainekrieg aufzubrechen. Bisher sah es so aus, als seien „The West“ und „The Rest“ sich relativ einig. Die russische Diplomatie und Propaganda betreibt eine andere Interpretation der Lage: „The West“ gegen „The Rest“.

Dem Narrativ des Westens, dies sei eine Konfrontation „Freiheit gegen Diktatur“ von globaler Bedeutung, folgt nur ein Teil der 193 Staaten der Erde. Ihre Zahl könnte sinken, je länger der Krieg dauert. Russland hat zum Teil Erfolg mit seiner Darstellung, dies sei nicht ein Krieg Russlands gegen die Ukraine, sondern ein Konflikt der Nato mit Russland, den der Westen verschuldet habe.

Wenn in Afrika Getreide aus der Ukraine fehle und Hungersnöte drohten, liege das nicht an Russland, sondern an den Sanktionen des Westens, behauptet Moskau. Die Sowjetunion hatte sich in der Dritten Welt mit Erfolg so dargestellt, als unterstütze sie den Kampf gegen den Kolonialismus und Imperialismus des Westens – obwohl sie doch selbst ein Kolonialreich war, in dem die russische Herrschaftsnation ihre Nachbarn dominierte. Den guten Ruf macht sich Moskau bis heute zunutze.

Russland blockiert den UN-Sicherheitsrat

Dass die entscheidenden Resolutionen von der Generalversammlung der UN verabschiedet werden – und nicht wie sonst üblich vom Sicherheitsrat –, liegt an der Blockade des Gremiums durch Russland. Moskau verhindert mit seinem Veto, dass der Sicherheitsrat seine Aufgaben wahrnehmen kann.

An den Abstimmungsergebnissen der bisher vier Resolutionen lässt sich erkennen: Es macht einen Unterschied, ob es nur um verbale Verurteilungen oder um praktische Folgen geht. Die ersten beiden Resolutionen vom 2. und 24. März verurteilten den Angriff und verlangten den Rückzug der russischen Truppen. 140 der 193 Staaten stimmten dafür, nur fünf dagegen, nämlich Belarus, Eritrea, Nordkorea, Russland und Syrien. Die übrigen Stimmen waren Enthaltungen, ein Dutzend Staaten war abwesend.

Die dritte Resolution vom 7. April verlangte den Ausschluss Russlands aus dem Menschenrechtsrat nach den Kriegsverbrechen in Butscha, Mariupol und anderswo. Dafür stimmten nur 93 Staaten, die Zahl der Neins wuchs auf 24 bei 58 Enthaltungen.

Die höchste Zustimmung, 143 Ja-Stimmen, fand die vierte Resolution vom 12. Oktober. Sie verurteilte die völkerrechtswidrigen Referenden in den besetzten Gebieten und die von Russland verfügte Annexion.

Südafrika hält Manöver mit China und Russland ab

In Teilen der Erde ist die Distanz zur Haltung des Westens unübersehbar. Indien kauft russische Waffen und russisches Öl. Brasiliens neuer Präsident Lula verweigert beim Besuch des Kanzlers Olaf Scholz den Schulterschluss gegen Russland. Südafrika hält Militärmanöver mit Russland und China ab.

Peking liefert Russland „Dual use“-Güter, die sich sowohl zivil als auch militärisch nutzen lassen, darunter elektronische Steuerelemente für den Waffenbau. Und erwägt, so warnte kürzlich US-Außenminister Tony Blinken, Waffenlieferungen.

Diese Verweigerung einer klaren Stellungnahme gegen den Aggressor Russland und für das Opfer Ukraine, die die UN-Charta gebietet, scheint eine wachsende Zahl von Staaten im Globalen Süden nicht einmal für fragwürdig zu halten. Sie kritisieren umgekehrt den Westen, obwohl der sie mit Milliardenhilfen unterstützt. Und warnen davor, dass die westlichen Hilfen für die Ukraine dazu führten, dass der Globale Süden weniger bekomme.

Macron kritisiert Doppelzüngigkeit des Westens

Frankreichs Präsident Francois Macron nahm einen zentralen Vorwurf in seinem Auftritt in München auf: Der Westen müsse sich Doppelstandards und Doppelzüngigkeit vorhalten lassen. Die Werte, die er in der Ukraine beschwöre, seien nicht immer maßgeblich für den Umgang mit der übrigen Welt.

Ein anderes Argumentationsmuster: Der Westen habe sich für Regionalkonflikte im Globalen Süden wenig interessiert; warum soll der Globale Süden sich nun für den Ukrainekrieg interessieren, nur weil der dem Westen wichtig sei?

Die Kritik scheint bei vielen westlichen Regierungen Eindruck zu machen. Sie geben sich schuldbewusst bei ihrem Werben um Unterstützung im Globalen Süden und versprechen zusätzliche Hilfen.

Dabei wäre auch ein umgekehrtes, selbstbewusstes Vorgehen denkbar: Staaten, die zu einem Gutteil von westlicher Unterstützung leben, sollten bedenken, in welchem Lager sie besser aufgehoben sind. Und nicht darauf spekulieren, dass sie beides zugleich haben können: ökonomisch vom Westen leben, aber politisch China und Russland folgen.

Vor Beginn der Dringlichkeitssitzung der Generalversammlung in New York schien es weder die USA noch die EU für eine gute Devise zu halten, dem Globalen Süden ein eindeutiges Bekenntnis zu den Prinzipien der UN-Charta abzuverlangen.

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