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Sie oder er? Herausforderin Marine Le Pen und Präsident Emmanuel Macron.

© Sarah Meyssonnier/REUTERS

Brexit, Trump – und jetzt Le Pen?: Nach der Frankreich-Wahl könnte ein böses Erwachen drohen

Die Rechtsextreme hat eine reale Chance. Verliert sie, ist das mehr Putin als Macron zu verdanken. Der muss sich das Vertrauen neu verdienen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Fähigkeit der Menschen, drohendes Unheil zu verdrängen, ist erstaunlich. Dass Wladimir Putin einen Angriff auf die Ukraine plant, wollten die meisten Westeuropäer nicht wahrhaben. Mit der Devise „Wird schon gut gehen“ hatten viele auch 2016 das Brexit-Referendum und die Präsidentschaftswahl in den USA begleitet. Es folgte ein böses Erwachen.

Das angeblich Undenkbare war plötzlich real. Die Briten hatten für den Austritt aus der EU gestimmt, Donald Trump wurde Präsident. Europa und Deutschland waren darauf nicht vorbereitet. Notfallplanung? Fehlanzeige.

Erteilen Frankreichs Bürgerinnen und Bürger der Welt nun die nächste harte Lektion und wählen Marine Le Pen statt Emmanuel Macron? So muss es nicht kommen.

Viele klammern sich an die Hoffnung. Und die Umfragen

Aber die Ruhe, mit der Europa in das Wochenende geht, überrascht. Sie wirkt nicht gelassen, eher wie ein Nicht-Wahrhaben-Wollen, weil das, was da droht, den eigenen Vorstellungen widerspricht. Und erneut vermitteln die EU und die Bundesregierung nicht den Eindruck, dass sie gewappnet sind.

Seinen Sieg 2016 sahen wenige kommen: Der inzwischen wieder abgewählte US-Präsident Donald Trump.
Seinen Sieg 2016 sahen wenige kommen: Der inzwischen wieder abgewählte US-Präsident Donald Trump.

© Erin Siegal McIntyre/REUTERS

Man klammert sich an die Hoffnung und die Umfragen. Macron liegt mehrere Prozentpunkte vor Le Pen.

Doch erstens hatten Umfragen auch vor dem Brexit-Votum und vor der US-Wahl das Scheitern der Brexiteers und einen Sieg für Hillary Clinton vorhergesagt, wenn auch mit geringeren Margen als jetzt in Frankreich.

Zweitens ist der Vorsprung des bürgerlichen Lagers vor den Rechtsextremen mit jeder Stichwahl dramatisch geschrumpft. 2002 ging es zwischen Jacques Chirac und Vater Le Pen noch 82 zu 18 aus. 2017 zwischen Macron und Tochter Le Pen 66 zu 34. Jetzt lauten die Prognosen 55 zu 45.

Drittens treten Risikofaktoren zutage, die auch bei Brexit und Trump-Wahl den Ausschlag gaben: der Stadt-Land-Gegensatz; Fehleinschätzungen bei jungen Wählern und bei der Zahl jener, die zwar die Extremen ablehnen, sich aber enthalten, weil der Kurs der Regierung sie enttäuscht.

Der Einfluss von Kleinstädten und Dörfern werden unterschätzt

Das Gewicht der Einwohner von Kleinstädten und Dörfern wird in westlichen Demokratien oft unterschätzt. Großstädtische Eliten in Politik, Medien, Kultur und Wirtschaft dominieren den öffentlichen Diskurs. Ihre Agenden blenden jedoch den Alltag und die ökonomischen wie sozialen Interessen der Wähler im Umland aus.

Frankreich ist beides: hoch urbanisiert (Macron-Wähler) und stark ländlich geprägt (Le-Pen-Wähler). Viele Jungwähler blieben beim Brexit-Votum zuhause, obwohl es um ihre Zukunft ging; auch viele junge Franzosen sind politisch desinteressiert oder wählen rechts.

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Enthaltungen können die Wahl entscheiden. Von den Wählern des Drittplatzierten der ersten Runde, Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, will die Hälfte der Stichwahl fernbleiben, nur ein Drittel für Macron, ein Fünftel für Le Pen stimmen. Ein weiteres Alarmzeichen ist das Kompetenzurteil. Wie im Fall Trump halten viele Wähler Le Pens Programm nicht für leere Versprechen. Bei Fragen wie sozialer Ungleichheit, Renten, Kaufkraft, Sicherheit, Terrorabwehr und Einwanderung trauen sie ihr mehr zu als Macron.

Le Pens Putin-Nähe als Wendepunkt

Die Geschichte hält mitunter ihre eigenen Pointen bereit. Wenn Le Pen verliert, hat sie das in hohem Maß ihrem Freund Wladimir Putin zu verdanken.

Macrons Werte stiegen zuletzt zwei Mal stark an: nach Kriegsbeginn am 24. Februar. Und nach der TV-Debatte, in der er die Franzosen daran erinnerte, dass Putin „Le Pens Banker“ sei und ihre Partei finanziert.

Die zentrale Herausforderung weist über Frankreich hinaus: Wie gewinnen Parteien der Mitte das Vertrauen der Bürger zurück, dass sie alle im Blick haben?

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