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Björn Höcke, AfD-Landessprecher, steht beim Landesparteitag der Alternative für Deutschland im ·Hotel Pfiffelburg· auf der Bühne.

© dpa/Michael Reichel

„Radikalisierung immer hemmungsloser“: Menschenrechtsinstitut hält AfD-Verbot für möglich – andere Parteien skeptisch

Die AfD sei „national-völkisch“ und könne verboten werden, heißt es in einer Analyse. Vertreter von Regierungs-, Linken- und Unionsfraktion halten davon aber nicht viel.

Mehrere im Bundestag vertretene Fraktionen reagieren zurückhaltend auf die Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte, nach der die Voraussetzungen für ein Verbot der AfD erfüllt sind. Der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Sebastian Hartmann, sagte der Zeitung „Welt“: „Die AfD ist eine verfassungsfeindliche Organisation. Wir sehen bei der Partei auch eine sich immer schneller drehende Radikalisierungsspirale. Unser primäres Ziel bleibt es dennoch, die AfD politisch zu stellen, damit sie nicht mehr in unsere Parlamente gewählt wird.“

Die Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), sagte: „Eine Diskussion um ein AfD-Verbot führt in die falsche Richtung. Davon profitiert am Ende nur die AfD selbst, weil sie sich wieder als Opfer darstellen kann. Es braucht eine politische Auseinandersetzung mit dieser Partei.“

Ähnlich argumentieren Abgeordnete der FDP und Linkspartei. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle sagte der „Welt“: „Angesichts des derzeitigen Umfragehochs der AfD einen Verbotsantrag ins Spiel zu bringen, ist ein falsches Signal. Es ist Aufgabe aller demokratischen Parteien, durch ihre Programmatik und Kommunikation Wählerinnen und Wähler der AfD zurück zu gewinnen.“ Jan Korte, parlamentarischer Geschäftsführer der Linken-Fraktion, sagte: „Die Debatte über ein Parteiverbot lenkt vom eigentlichen Problem ab, nämlich dass die AfD politisch bekämpft werden muss.“ Und: „Die beste Sofortmaßnahme gegen die AfD wäre ein starker Sozialstaat.“

In Bezug auf den Mitgliederbestand, die Organisationsstruktur, den Mobilisierungsgrad, die Kampagnenfähigkeit und die finanzielle Lage der Partei ist die AfD um ein Vielfaches stärker.

Der Jurist Hendrik Cremer vergleicht in seiner Analyse die Situation der AfD mit der der NPD während des gescheiterten zweiten Verbotsverfahrens 2017.

Die Voraussetzungen für ein AfD-Verbot liegen vor: Das ist die zentrale Aussage der aktuellen Analyse des Deutschen Instituts für Menschenrechte, auf die sich die Kritik bezieht. „Der Programmatik liegt ein national-völkisch verstandener Volksbegriff zugrunde, der Menschen nach rassistischen Kategorien in ihrer Wertigkeit unterscheidet“, heißt es in dem Papier. Dies sei nicht mit der grundgesetzlich verankerten Würde des Menschen vereinbar. „Überdies setzt sich innerhalb der Gesamtpartei zunehmend der Kurs durch, der von Björn Höcke schon lange verfolgt wird.“

Das Institut wird vom Bundestag finanziert. Verfasst hat die Analyse der Jurist Hendrik Cremer, der über den Schutz unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge promovierte und bereits dafür argumentierte, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen.

Nicht allein Björn Höcke äußere sich verfassungsfeindlich, schreibt er, sondern „sämtliche Personen der obersten Führungsspitze der AfD“. Darunter nennt Cremer ihren Bundessprecher Tino Chrupalla, der „uns Deutsche“ von einem „Völkermord“ und von „Umvolkung“ durch Geflüchtete bedroht sah, und die Bundesvorsitzende Alice Weidel, die davon sprach, die Bundesregierung wolle sich ihr Volk „selbst aussuchen und zusammenstellen“. Damit bediene sie das Narrativ vom „Bevölkerungsaustausch“, ein Wort, das der ehemalige Vorsitzende der Partei Alexander Gauland benutzte.

Einer der zentralen Treiber der Radikalisierung aus Sicht Hendrik Cremers: Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke.
Einer der zentralen Treiber der Radikalisierung aus Sicht Hendrik Cremers: Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke.

© dpa/Martin Schutt

Hinter diesem Narrativ stehe, so die Analyse, eine geschlossene Vorstellung von Kultur, die essenziell einem bestimmten „Volk“ zukomme. „Identität, Nationales, Kultur kann man nicht verändern“, sagte Gauland in einer Rede vor dem offiziell aufgelösten, rechtsextremen „Flügel“ der Partei. „Sie ist uns angeboren und sie ist etwas, was wir alle zum Leben brauchen.“

Auch in ihrem Programm begreife die AfD „Kultur“ als ein „unveränderliches identitätsstiftendes Wesensmerkmal von Menschen“, schreibt das Institut. Diese Vorstellung sei rassistisch.

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Björn Höcke, gegen den der Bundesvorstand der AfD zwischenzeitlich ein Verbotsverfahren eingeleitet hatte, habe seine Dominanz in der Partei ausgebaut.

Auch Politiker wie der Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich, der in Chats mit seinen Verbindungen zur Dortmunder Neonazi-Szene geprahlt haben soll, oder sein Kollege Stefan Keuter, der Medienberichten zufolge Bilder Adolf Hitlers beim Hitlergruß auf WhatsApp verschickte, würden geduldet. Die Partei werde in ihrer „Radikalisierung immer hemmungsloser“.

Das Parteienverbot und der Erfolg der AfD

Die Hürden für ein Parteienverbot nach Artikel 21 des Grundgesetzes sind hoch. Zweimal scheiterten Versuche, die NPD zu verbieten, zuletzt 2017.

Damals erklärte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil: „Das Parteiverbot ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot. Notwendig ist ein Überschreiten der Schwelle zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Partei.“ Es müsse ein „planvolles Vorgehen“ der Partei gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik gegeben sein.

Aber nicht nur die Hürden für ein mögliches Verbot der AfD sind hoch, sondern auch ihre Umfragewerte. Zwischen 17 und 19 Prozent liegt sie bundesweit, in Sachsen und Thüringen führt sie mit 32 und 30 Prozent die Umfragen an. In Thüringen ließ sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit ihrer Unterstützung 2020 sogar zum Ministerpräsidenten wählen, auch wenn er auf Widerstand stieß und nur 28 Tage im Amt blieb.

Ein Verbot der NPD lehnte das Bundesverfassungsgericht vor sechs Jahren nur deshalb ab, weil ihr die Möglichkeit fehlte, ihre Vorstellungen in die Tat umzusetzen – seit 2016 ist sie in keinem Landtag mehr vertreten. „In Bezug auf den Mitgliederbestand, die Organisationsstruktur, den Mobilisierungsgrad, die Kampagnenfähigkeit und die finanzielle Lage der Partei ist die AfD um ein Vielfaches stärker“, heißt es in der aktuellen Analyse.

Dass die Verantwortlichen in Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung den unsicheren Weg zu einem Parteienverbot scheuen, ist auch Cremer bewusst. „Bedenken mit Blick auf ein Verbotsverfahren“, schreibt er, könnten sich auch „aus den hohen Zustimmungswerten für die Partei ergeben, obwohl gerade sie es sind, die die Partei so gefährlich machen.“

Darum bringt er den Ausschluss der AfD von der staatlichen Parteienfinanzierung ins Spiel, eine Möglichkeit, die nach dem zweiten gescheiterten NPD-Verbot geschaffen wurde. AfD-Mitgliedern müssten überdies die Waffenscheine entzogen werden, selbst Anhänger der Partei aus dem Staatsdienst entlassen werden – auch das sind Forderungen, die politischen Sprengstoff bergen.

Außerdem mahnt die Analyse zur Abgrenzung von der AfD, wie sie auch die Fraktionsvertreter im Bundestag befürworten. Die anderen Parteien müssten ihrer „Normalisierung“ entgegenwirken.

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