zum Hauptinhalt
Ulli Zelle, RBB-Reporter, hat sich im März in den Ruhestand verabschiedet.

© Gestaltung: Tagesspiegel/Foto: obs/RBB

Ulli Zelles Vision für Berlin 2030: Aus Finanznot wird das rbb-Fernsehzentrum zum Hotel umgebaut

Kaum einer kennt die Stadt so gut wie die „Abendschau“-Legende. Seine Ideen für die Zukunft: Verkauf des rbb-Fernsehzentrums, geschützte Radstreifen und Ateliers in ehemaliger Kaserne.

Ulli Zelle
Ein Gastbeitrag von Ulli Zelle

Stand:

Vorab: Ja, es soll alles besser sein 2030: der öffentliche Nahverkehr, die Verwaltung, vorschulische Bildung, die Schulen sowieso und auch die Universitäten. Die TU ist endlich durchsaniert. Berlin ein prosperierender Forschungsstand von Adlershof bis zur Urban Tech Republic in Tegel. Berlin 2030 ein Innovationsstandort, ein Magnet für Kreative aus aller Welt, die Hauptstadt eine Kunstkapitale und Museumsmetropole. Dazu die Clubkultur. Berlin wird digitaler und unbürokratischer. Der Regierende Bürgermeister hofft auf ein Berlin der Zukunft, das schneller und einfacher wird.

So weit die Lyrik. Und die Wirklichkeit? Die Stadt hält mit vielen politischen Ideen nicht mehr mit, ist träger geworden. Seien wir ehrlich, was hat sich in den letzten fünf Jahren grundlegend verändert? Was dürfen wir in fünf Jahren erwarten?

2030 werden wir einen neuen Senat haben. Die Linke ist laut der letzten Bundestagswahl die stärkste Partei in der Stadt. Kann sich eine schwarz-geführte Landesregierung ab 2026 noch halten? Erleben wir eine andere Politik? Spekulation – wie vieles bei Visionen.

Ich bin kein Städteplaner, kein Architekt oder Soziologe, sondern Reporter. Ich habe Berlin seit 40 Jahren im Blick. Was sehen wir 2030?

Nie fertig und immer in Bewegung

Machen wir uns auf den Weg durch die Hauptstadt. Durch die Mitte und an die Ränder.

Wenn heute Ideenlosigkeit und Saturiertheit beklagt werden, dann stimmt das im Vergleich zu den bewegenden Wende-Jahren, als zwei Stadthälften zu einer Metropole werden sollten, als neue Quartiere wie der Potsdamer Platz, ein Regierungsviertel und ein neuer Hauptbahnhof inklusive Europa-City entstand.

Und dann? Schritttempo! Am Alex mühen sich gerade mal zwei Hochhäuser in den Himmel, wo einst Architekt Kollhoff Anfang der 1990er-Jahre eine neue Berliner Skyline entwarf. Und am Horizont Richtung Süden ragen Amazon, Uber oder Max und Moritz in den Himmel, dominieren die „Mediaspree“, die einst Demonstranten versenken wollten. Untergegangen ist dabei eine einst lebendige Uferszenerie, mit Oststrand, Maria und Eisfabrik, noch da: der Holzmarkt.

Mit den Häusern hat sich auch die Menschenmischung verändert. Und das Berlingefühl, das Wir-Gefühl. Städte-Werbung brachte es oft auf den Punkt: Berlin ist eine Reise wert, Berlin tut gut, Berlin – arm aber sexy, Be Berlin. Und heute?

Im Jahr 2030 werden die Texter der Agenturen anfangen, über den Slogan zum 800. Geburtstag der Stadt nachzudenken. Der ist 2037, nicht mehr so lange hin. Bis dahin sollte die Stadt an Strahlkraft zurückgewonnen haben. Die einstige Hauptstadt der Hohenzollern, Preußens und des Kaiserreichs ist mit Umbrüchen gewachsen, von der März-Revolution 1848 über 1918 und die Weimarer Republik bis zur friedlichen Revolution von 1989. Diese Stadt hat gelitten, war zerbombt, zerrissen, ist nie fertig und immer in Bewegung, nur das Tempo hat in den letzten Jahren ein wenig nachgelassen. Und Berlin tickt unterschiedlich in seinen 96 Stadtteilen und 434 Kiezen.

In ruhigen Ecken wie Rudow oder Französisch Buchholz, in Kladow oder Kaulsdorf wird sich auch 2030 nichts Wesentliches verändert haben. Aber die Mitte muss das Tempo anziehen!

MoMA-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie

Der „Schatz von Berlin“, die Museumsinsel, wird dann hoffentlich frisch saniert zum 800. Geburtstag alle Häuser geöffnet haben. Die Schinkelsche Bauakademie steht dann wieder am alten Platz gegenüber vom „Stadtschloss“, und sogar die Einheitswippe konnte aus einem Lagerschuppen in Nordrhein-Westfalen nach langen Streitigkeiten wie geplant vor das Humboldtforum gestellt werden. Dringend nötig übrigens auch, das Forum mit mehr Inhalt, besseren Ausstellungen zu füllen. Vielleicht zur 800-Jahr-Feier mit ähnlich spektakulären Events wie die MoMA-Ausstellung 2004 in der Neuen Nationalgalerie.

Neben der entsteht bis 2030 ja das Museum des 20. Jahrhunderts „Berlin Modern“. Ein Highlight der Berliner Museumslandschaft. Dann ist endlich auch das neue Bauhausarchiv fertig. Hat ja lange genug gedauert. Und somit erwacht hoffentlich auch das „tot-betonierte“ Kulturforum zu neuem Leben, wie auch der benachbarte Potsdamer Platz und das Sony Center. Beiden Orten sind Mieter wie Menschen abhandengekommen. Und die von Stadtplanern gedachte Flaniermeile zwischen Gendarmenmarkt und Leipziger Platz blieb „gedacht“.

Im Westen was Neues

Erstaunlicherweise wächst die City-West fröhlich weiter. Es wird bestimmt 2030 schon wieder Pläne für die Bebauung der Brache hinter dem Hardenbergplatz geben, auch wenn das Problem der Obdachlosigkeit in der Stadt nebenan vor den S-Bahnbögen und unter den Brücken immer deutlicher zutage tritt.

Das Ku’damm-Karree steht nicht mehr als Gerippe im Wind, sondern wurde Büroturm mit Ku’damm-Bühne im Keller. Vision 2030. Nur der Kreisel hat es nach einem halben Jahrhundert Skandalgeschichte immer noch nicht geschafft. Er bleibt ein mahnendes Skelett!

Berlin ist vielfältig und in seinen Bezirken und Ortsteilen so auffallend unterschiedlich: leise, laut, unfreundlich, herzlich, chaotisch, anders als andere deutsche Städte.

Ulli Zelle, früherer „Abendschau“-Reporter

Aber, oh Wunder, das ICC gibt es wieder. „Dauert noch ein bisschen, aber wird mega“, versprach der Senat mit einem Riesen-Spruchband, und tatsächlich fand sich eine Investorengruppe, die den futuristischen Klotz wieder bespielt. Es war der Senatsverwaltung für Wirtschaft tatsächlich gelungen, Berlin verstärkt als Messestandort weltweit zu vermarkten. Wie gesagt, wir schreiben 2030 und träumen …

Gegenüber der Messe beginnen 2030 die Bauarbeiten zum Umbau des ehemaligen rbb-Fernsehzentrums, das der Sender aus Finanznöten heraus verkaufen musste. Hier könnte zum Teil ein Hotel für Messegäste entstehen.

Die Stadtautobahn als Anbindung kann nach jahrelanger Sperrung wieder auf allen Spuren befahren werden. Dank vereinfachter Genehmigungsverfahren und einer „Konzentration der Kräfte“ wurden wider Erwarten alle maroden Brücken zwischen Rathenauplatz und Jakob-Kaiser-Platz im Rekordtempo grundsaniert, nachdem sich über Jahre der Verkehr durch Nebenstraßen Charlottenburgs gequält hatte, sehr zum Leidwesen der dort Wohnenden.

Keine Autobahnen und keine neuen Straßen

Nach Anwohnerprotesten in Treptow und Lichtenberg kommt der Ausbau der A100 über Ostkreuz hinweg nicht in Gang. Berlin will keine Autobahnen und keine neuen Straßen. Auf der anderen Seite steigt die Zahl der zugelassenen Pkw ständig …

Auch die TVO, die Tangentiale Verbindung Ost an der Wuhlheide, wird frühestens 2032 fertig sein. Baumbesetzungen behindern immer wieder den Weiterbau.

In der Verkehrspolitik bleibt Berlin gespalten, zwischen Befürwortern des Individualverkehrs und denen des öffentlichen Nahverkehrs. Nur der wird leider auch 2030 die Metropole in der Fläche nicht abdecken.

Für Fahrradfahrende verbessert sich die Situation etwas, durch mehr „geschützte Rad-Streifen“. Zusätzliche Radschnellwege kommen nicht so schnell.

Holz- und Schwammstadt Tegel und Ateliers in ehemaligen Kasernen

Auch 2030 bleibt Wohnen das wichtigste Thema der Stadt. Die großen landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften müssen das „Schneller-Bauen-Gesetz“ auch schneller umsetzen. Ein größeres Angebot lässt auf bezahlbare Mieten hoffen. In fünf Jahren könnten neue, nachhaltige Quartiere entstehen, nicht nur am Rand der Stadt, bei denen das Umfeld mitgedacht wird: mit Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, Entertainment. Eine lebenswerte Infrastruktur eben.

Sozialer Wohnungsbau muss auch mal schick und modern, aber bezahlbar sein. Die „Kür“ sind Vorzeige-Quartiere wie die „Holz- und Schwammstadt“ auf dem früheren Flugfeld in Tegel. Ein Zukunftslabor mit Hochschule im alten TXL-Gebäude und Start-ups auf der früheren Runway.

Neben dem Neubau muss bestehende Substanz reaktiviert werden. Berlin verfügt über 5000 ungenutzte, brachliegende Immobilien, alte Industrieflächen im Osten. Auch Bundesimmobilien stehen seit Langem leer, wie die früheren britischen Kasernen in Spandau oder der Krankenhauskomplex Heckeshorn. Diese Gebäude gilt es energetisch zu sanieren und nutzbar zu machen. Zum Beispiel für moderne Wohnprojekte, aber auch für die Kunst- und Musikszene, für Ateliers und Proberäume, denn diese Szene gehört zur DNA der Stadt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Schließlich der Blick in die Kieze. Wie sieht es 2030 in Neukölln aus, zwischen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße? Die BSR hat es geschafft, endlich kein Sperrmüll mehr auf den Gehwegen. Berlin sieht aufgeräumter aus. Vielleicht liegt es auch an einem veränderten Bewusstsein der Menschen für ihre Stadt, vielleicht hat Gleichgültigkeit der Verantwortung Platz gemacht. Auch an anderen problematischen Ecken, ob am Leopoldplatz in Wedding oder dem Quartier am U-Bahnhof Kaulsdorf.

Berlin 2030 ist eine Stadt, die sich wieder stärker ihrer Strahlkraft bewusst geworden ist. In der sich die Menschen wohl und sicher fühlen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Religion. An allen Orten der Stadt. Berlin ist vielfältig und in seinen Bezirken und Ortsteilen so auffallend unterschiedlich: leise, laut, unfreundlich, herzlich, chaotisch, anders als andere deutsche Städte. Und da schleicht sich wieder die „soziologische Lyrik“ ein. In den Werbeagenturen gibt es einen ersten Favoriten für den Slogan der Stadt: Berlin sind wir.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })