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Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk. Nach Angriffen auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht hat die Diskussion um Konsequenzen begonnen.

© dpa / Julius-Christian Schreiner

Update

Super Recognizer ermitteln zu Böllerrandale: Berliner Polizei sucht die Silvester-Angreifer in den sozialen Medien

Nach den Silvester-Angriffen macht die Polizei Druck. Erste Verfahren mit zehn Tatverdächtigen sind bereits bei der Justiz.

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Nach den Silvesterkrawallen und massiven Angriffen auf Einsatzkräfte hat die Polizei Berlin bereits die ersten Tatverdächtigen identifiziert. Wie Polizeipräsidentin Barbara Slowik am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses sagte, seien 22 Verfahren mit zehn Tatverdächtigen bereits an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden.

Es sei umfangreiches Videomaterial aus den sozialen Medien ausgewertet worden. Es lägen „enorme Mengen“ an Bildmaterial vor. Hier liege der Schwerpunkt bei den Ermittlungen, „um schnell zu Erfolgen zu kommen, da die Vernehmungen von Tatverdächtigen und Zeugen deutlich komplizierter sind“. Zu den Angriffen auf die Polizei liefen bereits 49 Verfahren mit 37 Tatverdächtigen, bei der Feuerwehr sind es 53 Verfahren. Die Polizei ermittle mit großem Nachdruck.

47 Polizisten verletzt

„Hier wird extrem kriminalistisch im Netz und über die verschiedenen Plattformen recherchiert“, sagte Slowik. „Egal, wie sehr mancher Tatverdächtiger, der entsprechende Videos eingestellt hat, wo man sich feiert, wie man Polizei und Feuerwehr angreift, egal wie sehr jemand dann meint, im digitalen Raum seine Spuren zu löschen, unsere Kriminalisten finden doch Spuren“, sagte Slowik.

Base ist immer Social Media.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik.

Durch die digitale Spurensuche sei bereits ein Verdächtiger ermittelt worden. Auch bei der Vorbereitung des Einsatzes und der Gefahrenanalyse seien die sozialen Medien ausgewertet worden. „Base ist immer Social Media“, sagte Slowik zur Gefährdungsbewertung.

Über das Hinweisportal der Polizei seien zudem rund 100 Datenpakete mit Bild und Videomaterial von Bürgern eingereicht worden. Zudem seien auch die sogenannten Super Recognizer der Polizei an den Ermittlungen beteiligt. Sie haben besondere Fähigkeiten, Gesichter wiederzuerkennen.

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Insgesamt 47 Polizisten sind laut dem internen Abschlussbericht der Polizei verletzt worden, sechs davon konnten ihren Dienst nicht fortsetzen. 13 mussten ambulant behandelt werden. Die meisten erlitten Prellungen, Hautabschürfungen und Knalltraumata. Durch Pyrotechnik seien 22 Beamte verletzt worden, durch tätliche Angriffe zwölf. Besonders schwer seien die Verletzungen bei einem Beamten gewesen, den ein pyrotechnischer Artikel unter dem Helm getroffen habe, sagte Slowik. Ein weiterer habe einen unmittelbar aufgesetzten Schuss aus einer Schreckschusswaffe erlitten. Mit 31 Polizisten seien Gespräche zur psychischen Betreuung geführt worden.

Polizei hatte zu wenig Einsatzkräfte in der Nacht

Aus dem vertraulichen Bericht geht auch hervor, dass die Polizei Berlin offenbar für den Einsatz in der Silvesternacht zu wenige Einsatzkräfte eingeplant hat. SPD-Fraktionsvize Tom Schreiber erklärte: „Ich war schon sehr überrascht, wie man rund um Silvester auf Einsatzhundertschaften verzichtet hatte.“

Laut dem Bericht der Polizei, über den zuerst die „B.Z.“ berichtet hat, gab es wegen der massiven Böllerausschreitungen eine „Kräftemangellage“. Im Gegensatz zum 1. Mai, bei dem der Einsatz berlinweit über die Direktion Einsatz/Verkehr geführt wird, war zum Jahreswechsel Jutta Porzucek, die Leiterin der Direktion 1 (Reinickendorf und Pankow), zuständig. Nach Tagesspiegel-Informationen hatte die Direktion 1 mehr als die dann eingesetzten 1281 Beamten für die Nacht beantragt, die Landespolizeidirektion soll dies jedoch abgelehnt haben. Am Ende brauchten die Berliner Hundertschaften dringend Hilfe von der Bundespolizei, ansonsten hätten die Berliner Einheiten noch größere Probleme bekommen.

 Ich war schon sehr überrascht, wie man rund um Silvester auf Einsatzhundertschaften verzichtet hatte.

Tom Schreiber, SPD-Fraktionsvize im Abgeordnetenhaus

Zwar lobt sich die Polizeiführung, dass das Konzept und „der gewählte Kräfteansatz für die stadtweiten polizeilichen Maßnahmen (…) zu großen Teilen aufgegangen“ sind. Zugleich gesteht die Polizei in dem vertraulichen 15-seitigen Bericht ein: „Das Fehlen einer Einsatzeinheit führte dazu, dass die eingesetzten Einheiten wegen der intensiven Auslastung der Einsatzkräfte im gesamten Stadtgebiet vorzeitig von den Pyrotechnik-Verbotszonen abgezogen und im laufenden Einsatz umgegliedert werden mussten, um die Lage an den Brennpunkten vorrangig in Neukölln und den Schutz der Einsatzkräfte der Feuerwehr bewältigen zu können.“

Dass die Bundespolizei am Alexanderplatz, am Bahnhof Gesundbrunnen, in der Huttenstraße und bei der Silvesterparty am Brandenburger Tor aushalf, „trug maßgeblich zum Erfolg des Einsatzes bei“. Erst dadurch konnten dann Berliner Einheiten zu den Brennpunkten geschickt werden.

Pyrotechnik gezielt auf Einsatzkräfte gefeuert

So habe es „ab den frühen Abendstunden an unterschiedlichen Orten in Berlin (Neukölln, Wedding, Moabit, Mitte, Schöneberg) immer wieder Angriffe gegen Einsatzkräfte der Polizei Berlin und der Berliner Feuerwehr“ gegeben. Zumeist seien die Attacken „aus Personengruppen heraus, die – teilweise vermummt – Pyrotechnik aus Schreckschusswaffen verschossen und teils gezielt auf Einsatzkräfte und/oder Einsatzfahrzeuge feuerten“.

Schließlich heißt es in dem Bericht: „Diese Lageentwicklung verdichtete sich ab 23 Uhr erheblich und dauerte bis circa 2:30 Uhr an.“ Ein Schwerpunkt dieser Vorfälle war Neukölln (Nord), genannt werden High-Deck-Siedlung, Sonnenallee und Sanderstraße. „Kurz vor Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden bis circa 2:30 Uhr verstärkten sich diese Angriffe derart“, dass die Einheiten neu strukturiert werden mussten zur „Brennpunktbewältigung in Neukölln“, heißt es in dem Bericht. Und weiter: „Die massiv zu verzeichnende Gewalt gegen Dienstkräfte der Polizei Berlin und Einsatzkräfte der Berliner Feuerwehr war in dieser Wucht und Intensität zu keinem Vorjahr vergleichbar.“

Polizeipräsidentin Slowik verteidigte im Innenausschuss die Einsatzplanung zur Silvesternacht. Die Ausschreitungen und Angriffe auf Einsatzkräfte seien „so weder erwartbar noch prognostizierbar“ gewesen. Insgesamt hätten einschließlich Bundespolizei und den 1140 Streifenbeamten knapp 3000 Einsatzkräfte zur Verfügung gestanden. Die Polizisten seien je nach Lage umgruppiert worden, das sei Alltagsgeschäft der Polizei bei solchen Einsätzen. Landesbranddirektor Karsten Homrighausen sprach sich im Innenausschuss für ein Böllerverbot. Es sei an der Zeit, „diese Tradition zu überwinden“, sagte Homrighausen. In der Zeit von Silvesterabend 19 Uhr bis Neujahrsmorgen 6 Uhr habe es bei der Feuerwehr mehr als 1700 Einsätze gegeben. Die Feuerwehrleute seien zu 750 Bränden ausgerückt, so viele gebe es sonst nicht in einem Monat. „Jeder einzelne dieser Einsätze war vermeidbar und jeder einzelne war ein Einsatz zu viel“, sagte Homrighausen. Bei der Feuerwehr seien bislang 69 Angriffe auf Einsatzkräfte registriert, 53 Fälle davon seien zur Anzeige gebracht worden. Nach derzeitigem Stand sei an 11 Fahrzeugen ein Schaden von insgesamt 26 000 bis 30 000 Euro registriert. „Ich gehe davon aus, die Summe wird weiter steigen“, sagte Homrighausen.

Die Diskussion um die Konsequenzen nach den Krawallen fällt mitten in den Berliner Wahlkampf für die Wiederholungswahl am 12. Februar. Bereits im Vorfeld ist ein Streit um die Form der Aufarbeitung entbrannt. Innenpolitiker der Fraktionen von SPD, Grünen und Linke warfen der CDU-Fraktion Populismus und Wahlkampf statt Interesse an sachlicher Aufklärung vor.

Hintergrund ist ein Fragenkatalog für den Innenausschuss, in dem die CDU auch nach Vornamen von Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit fragt. Der CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende Kai Wegner verteidigte dies erneut. „Ich halte es für ganz wichtig, den Täterkreis genau zu kennen. Das würde ich genauso sagen, wenn es Rechtsradikale oder Linksextreme wären“, sagte er der „Welt“.

„Es gibt Jugendliche, die hier geboren und aufgewachsen sind, einen deutschen Pass haben und sich trotzdem nicht dazugehörig fühlen, wo Integration nicht gelungen ist“, sagte Wegner. Je präziser man den Täterkreis benenne, desto effektiver könne man auch Präventionsangebote machen.

CDU verteidigt Frage nach Vornamen deutscher Verdächtiger

Im Innenausschuss spielte der Fragenkatalog keine Rolle. Aus der CDU-Fraktion hieß es, dass die Fragen schriftlich eingereicht worden seien und nun vom Senat beantwortet werden müssten. Fraktionsvize und Innenexperte Frank Balzer sagte dem RBB am Montag, im Grunde genommen ändere es nichts, welchen Namen jemand habe, der Böller auf Einsatzkräfte wirft. Aber es gehe um die Frage nach „Tätergruppen“.

Feuerwehrleute und Polizisten hätten ganz klar gesagt, „es sind Migranten, junge Migranten, Männer – und fast ausschließlich mit einem arabischen Migrationshintergrund.“ Angesichts der Brutalität müsse man sich nach Ansicht der CDU mit dem Thema auseinandersetzen, „wo ist die Migration gescheitert – und das ist gerade in Neukölln ein Thema, das uns seit Jahrzehnten beschäftigt und wir immer wieder davon wegkommen, Namen zu benennen und auch Gruppen zu benennen.“

In der Silvesternacht waren in mehreren deutschen Städten Polizisten und Feuerwehrleute im Einsatz angegriffen worden, besonders heftig fielen diese in Berlin aus. Polizei und Feuerwehr sprechen von einer neuen Intensität der Gewalt. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sprach von einer Zäsur.

Die Berliner Polizei hat nach eigenen Angaben bislang mehr als 350 Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Nach bisherigen Angaben der Berliner Polizei waren unter den 145 vorübergehend festgenommenen Verdächtigen 45 Deutsche und 17 weitere Nationalitäten, darunter 27 Afghanen und 21 Syrer. 94 der 145 sind jünger als 25 Jahre, darunter 27 Minderjährige.

Wie der Tagesspiegel berichtete, stand allerdings nur ein kleiner Teil der Festnahmen im Zusammenhang mit den Angriffen auf die Rettungskräfte. Nach Angaben der Polizei waren dies 38 Fälle. In zwei Drittel davon handelte sich dabei um deutsche Staatsbürger. Die meisten der Festgenommenen waren unter 21 Jahre alt.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) hatte am Wochenende betont, man müsse schauen, was man in Brennpunktkiezen tun könne. Helfe es, sich auf den Migrationshintergrund zu stürzen und dort die Ursachen zu suchen? „Nicht wirklich, wenn ich daran denke, dass in Neukölln 150.000 Menschen mit Migrationshintergrund leben und arbeiten, die sich engagieren und einfach nur ein friedliches Leben führen wollen“, schrieb Hikel in einem Gastbeitrag für „Bild“ und „B.Z.“. Die Gewalttäter eine, dass sie aus Brennpunktkiezen kämen. Also müsse man darüber sprechen, was dort zu tun sei. (mit dpa)

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