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Anhänger von Donald Trump mit Plakaten „Rette Amerika“ (Archivbild von 2022).

© Imago/UPI Photo/Alex Wroblewski

Abgrenzung statt Kooperation: Wie Mehrfachkrisen den Nationalismus befeuern

In einer Welt voller Krisen verspricht der Rückzug auf das, was man für das Eigene hält, neuen Halt. Rechte Parteien macht das stark. Doch Lösungen bietet nur internationale Zusammenarbeit.

Ein Gastbeitrag von Almut Wieland-Karimi

„Patriotismus ist Liebe zu den Seinen, Nationalismus ist Hass auf die anderen.“ So oder ähnlich haben Persönlichkeiten wie Albert Schweitzer oder Richard von Weizsäcker ihr Misstrauen gegenüber dem Nationalismus ausgedrückt.

Wie erklärt sich, warum in Zeiten besonders krisenbehafteter internationaler Beziehungen nationalistische Gedanken und Bewegungen blühen? Eine einfache Antwort gibt es auf diese Frage nicht, jedoch lassen sich einige Faktoren eindeutig benennen.

Nationalismus ist vor allem eine Reaktion auf unübersichtliche internationale Lagen, gepaart mit Ängsten um Wohlstandsverluste und vor wirtschaftlicher Not. Menschen suchen nach Stabilisierungsfaktoren – wie einer starken nationalen Identität. Rechte Bewegungen und Parteien nutzen diese Ängste und betonen diese Identitäten, in Abgrenzung zu anderen.

Mit dem Ende der USA als unilaterale Weltmacht, dem geopolitischen Aufstieg Chinas und dem Entstehen multipolarer Machtzentren gehen einschneidende Veränderungen der internationalen Ordnung einher.

Dieser Übergang ist ein wichtiger Faktor – und zieht Unsicherheit und Instabilität nach sich, unter anderem im Nahen Osten, wo der Rückzug der USA einen heftigen Wettstreit um Macht und Einfluss ausgelöst hat.

Die Globalisierung der letzten Jahrzehnte ist von vielen Menschen weltweit auch als Bedrohung für ihre nationalen Identitäten wahrgenommen worden. Obwohl sie viele neue Chancen und Entwicklungen – wie Mobilität, Vernetzung und Wissen – hervorgebracht hat, hat sie zugleich zu politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Spannungen geführt.

Menschen, die das Gefühl haben, dass die Eigenständigkeit ihres Landes durch undurchsichtige internationale Prozesse gefährdet sei, neigen eher dazu, nationalistische Strömungen zu unterstützen.

In unsicheren Zeiten neigen Menschen zudem dazu, nach Sündenböcken zu suchen. Politiker versuchen, durch nationalistische Rhetorik von internen Problemen abzulenken, indem sie Übeltäter von außerhalb verantwortlich machen.

Almut Wieland-Karimi

Die Pandemie hat die Tendenzen der internationalen Abschottung und Abgrenzung beschleunigt. Nationale Regeln und Souveränität wurden beim Umgang mit der Krise in den Vordergrund gestellt, Länder im Globalen Süden wenig unterstützt.

Statt internationale Kooperation zu fördern, hat das Coronavirus nationale Isolation und internationale Entflechtung von Wirtschaftsbeziehungen gefördert. Der Internationalismus wurde in die Quarantäne geschickt – auch wenn im Laufe der Pandemie die Einsicht beispielsweise in Europa wuchs, dass gemeinsame Impfstoffversorgung und abgestimmte Impfpflichten der bessere Weg seien.

Verschwörungstheorien, wer Corona in Umlauf gebracht habe, erlebten eine Hochzeit. Verdächtigt wurden die KP Chinas, „die Juden“, die Pharmaindustrie oder Bill Gates, dem man unterstellte, er wolle mithilfe der Pandemie die Weltherrschaft an sich reißen.

In unsicheren Zeiten neigen Menschen zudem dazu, nach Sündenböcken zu suchen. Politiker versuchen, durch nationalistische Rhetorik von internen Problemen abzulenken, indem sie Übeltäter von außerhalb verantwortlich machen.

Der türkische Präsident Erdoğan beispielsweise ist ein Meister dieses Fachs: Trotz einer verheerenden wirtschaftlichen Situation in seinem Land mit einer Inflationsrate von etwa 65 Prozent, schafft er es, die Menschen hinter sich zu versammeln.

Zu beobachten ist dies auch in Putins Russland, Xi Jinpings China, Modis hindunationalistischem Indien, Orbáns Ungarn und bei der AfD.

Zwei US-Präsidenten, zwei Extreme

In der Geschichte hat es immer wieder Pendelbewegungen zwischen den Extrempolen Internationalismus und Nationalismus gegeben, mit vielen Zwischentönen. US-Präsident Woodrow Wilson (1913–1921) war wohl einer der einflussreichsten Verfechter eines idealistischen Internationalismus. Er machte den Vorschlag zur Gründung des Völkerbundes, Vorgängerinstitution der Vereinten Nationen, und er verfolgte die Idee, dass die Welt für die Demokratie sicher gemacht werden müsse.

Der 45. Präsident der USA, Donald Trump, stand und steht mit seinen nationalistischen Parolen „Make America Great Again“ (MAGA) und „America First“ auf der anderen Seite der Extreme.

Er stellt allein die US-Wirtschaftsmacht in den Mittelpunkt. Internationale Bündnisse und Verträge zählen für ihn wenig: Die UN hat er links liegen lassen und gedroht, aus der Nato auszutreten. Das Pariser Klimaabkommen und das Iran-Atomabkommen haben die USA unter ihm verlassen.

Auch der Zusammenhang von Autoritarismus und Nationalismus ist augenfällig und für Demokratien ernüchternd. Autoritäre Regime betonen die Bedeutung nationaler Identität – in Abgrenzung zu anderen. Diese anderen – interne oder externe „Feinde“ – werden als Bedrohung für das eigene Volk ausgemacht. Auf diese Weise können diese Regime ihre Macht stärken und zentralisieren.

Etwa 20 Prozent der deutschen Befragten stimmten in der „Leipziger Autoritarismus-Studie“ von 2022 folgenden Aussagen zu: „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“ und „Was unser Land braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland.“ Die Studie trägt den bedrückenden Titel „Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen?“

Doch offensichtlich können wir Herausforderungen wie die Klimakrise und die Übergangsphase in der globalen Ordnung nicht national lösen, internationale Kooperation ist dafür zwingend notwendig.

In Zeiten multipler innen- und außenpolitischer Krisen fällt außerdem ein Diskurs, der auf Fakten basiert, in unseren bislang offenen Gesellschaften immer schwerer. Sophie Scholl hat seinerzeit gesagt: „Man darf nicht nur dagegen sein, man muss etwas tun.“

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