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US-Präsident Joe Biden spricht mit Reportern nach einer Pilates-Stunde in South Lake Tahoe.

© REUTERS/KEVIN LAMARQUE

Grell versus unsichtbar: Trump inszeniert sich, während Biden urlaubt

Während sein Vorgänger auf allen Kanälen sendet und wieder alle Aufmerksamkeit für sich zu nutzen weiß, scheint es um den amtierenden Präsidenten seltsam ruhig. Ist das fahrlässig oder Strategie?

Es sind zwei Parallelwelten: Auf der einen Seite kommen die Liveticker gar nicht mehr hinterher, im Minutentakt Updates zu allen Fragen rund um Donald Trumps kurzzeitigen Gefängnisauftritt in Georgia auszuspucken.

Der Ex-Präsident selbst versendet immer empörtere Nachrichten an seinen riesigen E-Mail-Verteiler und spekuliert in Interviews über mögliche gewalttätige Unruhen. Der am Donnerstagabend in Atlanta aufgenommene „mug shot“, das erkennungsdienstliche Foto des „Fulton County inmate no. P01135809“, wird nun zum Werbe-Hit.

Und auf allen Sendern wird in Endlosschleife diskutiert, ob es bei dieser bereits vierten Anklage nun aber wirklich eng wird für den Republikaner, der im kommenden Jahr erneut antreten will.

Der erste „mug shot“ eines US-Präsidenten: Donald Trump bei seiner kurzzeitigen Verhaftung in Georgia.
Der erste „mug shot“ eines US-Präsidenten: Donald Trump bei seiner kurzzeitigen Verhaftung in Georgia.

© action press/FULTON COUNTY SHERIFF'S OFFICE

Auf der anderen Seite urlaubt sein Nachfolger im Weißen Haus, US-Präsident Joe Biden, noch bis Samstag am Lake Tahoe in Nevada, dem größten alpinen See des nordamerikanischen Kontinents – in einem riesigen Anwesen des milliardenschweren Klimaaktivisten und Ex-Präsidentschaftsbewerber Tom Steyer, zu dem auch ein 9-Loch-Golfplatz und ein exquisites Restaurant gehören.

Gelegentlich dringen über den wie immer mitgereisten Journalistentross Lebenszeichen aus dem Wüstenstaat im Westen der USA. Demnach praktiziert Joe Biden mit seiner Familie Pilates, nimmt Spinning-Kurse, trinkt Bananen-Blaubeeren-Smoothies und kommentiert ab und an die Weltlage, etwa den Tod des Wagner-Bosses Jewgeni Prigoschin.

Er telefonierte auch mit dem ukrainischen Präsidenten zum Unabhängigkeitstag des attackierten Landes und schob einen Besuch auf der von einem Waldbrand schwer heimgesuchten Insel Maui ein. Aber für Freitag, dem Tag nach dem allerersten Gefängnisauftritt eines ehemaligen amerikanischen Präsidenten, wies die Vorschau des Weißen Hauses keinen einzigen öffentlichen Termin aus.

Dass er Trumps kurzzeitige Verhaftung nicht kommentiert, ist verständlich. Die Biden-Regierung will alles vermeiden, was den Vorwurf der Republikaner stützen könnte, sie würde politischen Einfluss auf die Justiz nehmen.

Außerdem ist Biden ein Amtsinhaber ohne innerparteiliche Konkurrenten und Trump bisher nur ein, wenn auch wahrscheinlicher, möglicher Herausforderer. Der Demokrat hat sichtlich keine Eile, den Wahlkampf zu beginnen.

Dass er im Pandemiejahr 2020 auch mit einer Kampagne aus dem Keller seines Privathauses in Wilmington im Bundesstaat Delaware erfolgreich war, wird ihn darin wohl noch bestärken. Sicher ist auch, dass es an medialer Lautstärke ohnein keiner mit Trump aufnehmen kann.

Trumps Verhaftung übertönt alles

Dennoch stellt sich die Frage: Muss man dem 80-jährigen Biden für seine Gelassenheit Respekt zollen oder ist es fahrlässig, Trump diesen Raum zu lassen? Das hängt davon ab, ob man dessen Behauptung Glauben schenkt, dass seine Umfragewerte mit jeder Anklage steigen.

Mit Blick auf den innerparteilichen Vorwahlkampf der Republikaner könnte das sogar stimmen. Trumps Umfragevorsprung zu den anderen Bewerbern seiner Partei ist groß – und nachhaltig. Auch die TV-Debatte seiner engsten Verfolger am Mittwochabend konnte daran wenig ändern.

Wie wirken sich die Anklagen auf unabhängige Wähler aus?

Am Tag danach ging es wieder nur um Trump und den historischen Auftritt in Atlanta, mit seiner medialen Dauerpräsenz kann er offenbar jeden Ausreißer schnell wieder einfangen.

Allerdings gibt es Zweifel, dass ihm seine juristischen Probleme und sein immer stärker darauf ausgerichteter Wahlkampf bei der Hauptwahl im November 2024 helfen werden. Das legt zum Beispiel eine aktuelle Umfrage von „Politico“ und Ipsos nahe.

Demnach glaubt ungefähr die Hälfte des Landes, dass Trump schuldig ist – darunter neben der überwältigenden Mehrheit der Demokraten auch 53 Prozent der Wähler, die sich als unabhängig einsortieren. Da die beiden politischen Lager so fest zementiert sind, wird es auch bei der kommenden Wahl entscheidend auf diese „Independents“ ankommen.

Interessant an der Umfrage ist auch, dass trotz der gigantischen Menge an Berichterstattung über Trumps juristische Probleme immer noch erstaunliche viele Amerikaner angeben, Neues über die dem 77-Jährigen zur Last gelegten Straftaten zu lernen und vieles noch gar nicht richtig zu verstehen. Würden einer oder gar mehrere Prozesse tatsächlich noch vor der Wahl im November starten, könnte sich das schnell ändern.

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