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Polens Premier Mateusz Morawiecki (rechts) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Grab des Unbekannten Soldaten.

© dpa/Czarek Sokolowski (Archiv)

Liefert Warschau nun keine neuen Waffen mehr an Kiew?: Verbündete wie Polen sind Putins Hoffnung

Kurz vor der Wahl kennt die Regierungspartei PiS nur eine Loyalität: nationalen Egoismus. Das schwächt den Westen und zeigt die Risiken, wie Russland den Krieg doch noch gewinnen kann.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

War es nur ein Missverständnis? Polens Premier Mateusz Morawiecki sagt, dass sein Land keine Waffen mehr an die Ukraine liefert. Für viele Partner klingt es wie eine Drohung, mit der Polen Druck ausüben möchte, etwa in der Kontroverse um die Einfuhr ukrainischen Getreides in die EU.

Warschau bestreitet das. Morawiecki habe nur den Sachstand erläutert. Polen habe alles geliefert, was es übrig hatte. Nun müsse es erstmal die eigene Armee ausrüsten.

Die Reaktionen Verbündeter zeigen zweierlei: das Misstrauen, das Polen entgegenschlägt. Und die Risiken für das Ziel, dass Russland den Krieg nicht gewinnen und die Ukraine ihn nicht verlieren dürfe. Wie weit reichen Einigkeit und Entschlossenheit bei der Unterstützung Kiews?

Polens PiS irritiert mit ihrer Doppelzüngigkeit

Zunächst zu Polen. Die nationalpopulistische PiS-Regierung irritiert ihre Partner häufig mit der dreisten Diskrepanz zwischen Selbstdarstellung und Handeln. Kurz vor der Wahl am 15. Oktober ist ihre Devise nationaler Egoismus, auch wenn er die Ukraine-Koalition spaltet.

Sie erklärt Polen gerne zum verlässlichsten Unterstützer Kiews und wirft Deutschland vor, zu zögern. Als sich die Europäer nach langem Hin und Her auf die Lieferung von Leopard-Panzern einigten, war es jedoch Polen, das seine Zusagen nicht einhielt.

Mehrere Verbündete stehen zudem im Verdacht, die großzügige Finanzhilfe der EU für Waffenlieferungen an die Ukraine zu nutzen, um verbrauchtes Gerät abzugeben und die eigenen Streitkräfte neu auszustatten.

Streit um die Ausfuhr ukrainischen Getreides

Polen hält sich, zweitens, nicht an EU-Beschlüsse. Als Russland die Ausfuhr ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer stoppte und Hunger in Afrika drohte, erlaubte die EU den Transit auf dem Landweg zu Mittelmeerhäfen.

Einfuhr und Wiederausfuhr wurden offenbar nicht konsequent kontrolliert. Polen beschwerte sich, dass ukrainisches Getreide zu Dumping-Preisen in der EU bleibe, zum Schaden polnischer Bauern. Nach zwischenzeitlichem Stopp hat die EU den Transit nun wieder erlaubt. Polen weigert sich, das zu akzeptieren.

Die PiS wirbt, drittens, seit der Migrationskrise 2015 damit, dass sie das wichtigste Bollwerk gegen die von Deutschland betriebene Masseneinwanderung von Muslimen sei. Das trug zu ihrem Wahlsieg 2015 bei.

Polen vergab EU-Visa gegen Schmiergeld

Nun hat die PiS aber einen Skandal am Hals. Gegen Schmiergeld haben polnische Konsulate in Afrika offenbar Hunderttausenden Menschen aus muslimischen Ländern illegale Visa erteilt, mit denen sie in die EU kommen. Statt den Skandal aufzuklären, mauert die PiS.

Doppelzüngigkeit und Misstrauen im Westen: Das ist der Stoff, der Wladimir Putin hoffen lässt, dass er den Krieg, den er militärisch zu verlieren droht, doch noch gewinnen kann. Er wäre gerettet, wenn der Wille der Ukraine-Koalition erlahmt.

Arbeitet die Zeit für Putin oder die Ukraine?

Daran entscheidet sich zugleich, ob die Zeit für die Ukraine arbeitet oder für Putin. Der Krieg ist jetzt ein Abnutzungskrieg. Durchhaltekraft entscheidet. An Wirtschaftskraft ist Russland dem Westen weit unterlegen. Die USA und die EU haben einzeln jeweils sieben Mal so viel wie Russland. Und dazu die besseren Waffen. Wenn sie die Ukraine geeint und entschlossen unterstützen, arbeitet die Zeit für Kiew.

Putin setzt darauf, dass Wahlen in Amerika und Europa Kräfte an die Macht bringen, denen dieser Wille fehlt. Dann arbeitet die Zeit für ihn.

Falls Donald Trump 2024 gewinnt, kann Putin triumphieren. Das gilt auch dann, wenn die Russland-Falken der Republikaner verhindern, dass Trump die Waffenhilfe beendet. Für das Schicksal der Ukraine-Koalition genügt es, wenn da kein US-Präsident mehr ist, der sie durch Autorität und Führung zusammenhält wie Joe Biden.

Wer glaubt ernsthaft, dass Kanzler Scholz oder Präsident Macron oder die EU-Kommission diese Rolle übernehmen könnte? Traurig, aber wahr: In strategischen Fragen bringt Europa alleine wenig zustande.

Wer diesen Krieg verliert, Russland oder die Ukraine, wird nur in zweiter Linie militärisch entschieden. Die wichtigere Front ist die politische. Deshalb hat Mateusz Morawiecki so viel Verunsicherung ausgelöst – was auch immer er eigentlich sagen wollte.

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