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ARCHIV - 06.01.2020, Niedersachsen, Hannover: Ein Flugzeug startet am Flughafen Hannover - fotografiert durch Stacheldraht am Flughafenzaun. (zu dpa: «Diakonie mahnt menschlichen Umgang bei Abschiebungen an») Foto: Julian Stratenschulte/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Julian Stratenschulte

Europa-Grüne stimmten gegen Asylreform: Realos in Deutschland sind verärgert über ihre Kollegen

Das EU-Parlament hat einer Verschärfung des gemeinsamen Asylsystems zugestimmt. Die Grünen in Brüssel votierten jedoch dagegen. Zum Ärger der Realos in Deutschland.

Das Europaparlament hat am Mittwoch die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschlossen, die Grünenfraktion stimmte jedoch in zentralen Punkten nach Tagesspiegel-Informationen überwiegend dagegen.

Bei grünen Realos in Deutschland sorgte das für Verärgerung. Trägt die deutsche Bundesregierung unter maßgeblicher Beteiligung der grünen Außenministerin Annalena Baerbock die Reform doch mit und plant eine Zustimmung im EU-Rat.

Kretschmann lobt Beschluss zur EU-Asylreform

Demonstrativ lobte Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Entscheidung des EU-Parlaments. „Der EU-Asylkompromiss ist ein überfälliger Schritt hin zu mehr Ordnung, Steuerung und Begrenzung in der Migrationspolitik“, sagte er dem Tagesspiegel.

Diese gewaltigen Herausforderungen könnten nur europäisch angegangen werden. „Dass hier jetzt wichtige Reformen auf den Weg gebracht werden, zeigt, dass Europa durch Kompromissfindung in der Lage ist, in zentralen Fragen gemeinsame Antworten zu finden.“ Dies sei ein wichtiges Signal vor den anstehenden Europawahlen.

 Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

© dpa/Marijan Murat

Dass die Grünen den Kompromiss in Europaparlament nun nicht mittrugen, stellt nach Ansicht von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen die Regierungsfähigkeit der Grünen infrage. Die Grünen streben an, nach der Wahl im Juni Teil der sogenannten Gestaltungsmehrheit im EU-Parlament zu werden. Das Abstimmungsverhalten am Mittwoch gilt hierfür als Rückschritt.

Wir können keinem Pakt zustimmen, der die Inhaftierung von Schutz suchenden Familien und Kindern an den EU-Außengrenzen zulässt und die Rechte Geflüchteter schwächt.

Terry Reintke, Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament

In der Grünenfraktion mit 72 Mitgliedern sind die 21 deutschen Abgeordneten die größte Gruppe. „Wir können keinem Pakt zustimmen, der die Inhaftierung von Schutz suchenden Familien und Kindern an den EU-Außengrenzen zulässt und die Rechte Geflüchteter schwächt“, so begründete die Co-Fraktionsvorsitzende Terry Reintke die Ablehnung. Reintke ist bei der anstehenden Europawahl Spitzenkandidatin für die deutschen und die europäischen Grünen. 

21
Deutsche gehören der Grünenfraktion an.

Bereits vor der Abstimmung sprach sich grüne Agrarminister Cem Özdemir für die Reform aus. „Eine wirkungsvolle Steuerung und Regulierung von Migration braucht eine gemeinsame europäische Antwort“, schrieb er bei X. „Denn Humanität und Akzeptanz für das Recht auf Asyl kann es nur in der Ordnung geben. Darum ist die Zustimmung des EU-Parlaments zum EU-Migrationspaket so wichtig und richtig.“

Auch Baerbock warb unmittelbar vor der geplanten Abstimmung für Zustimmung. Mit der GEAS-Reform liege ein hart verhandelter Kompromiss auf dem Tisch, schrieb die Grünen-Politikerin am Mittwoch bei X. „Es ist an Europa, jetzt Handlungsfähigkeit zu beweisen.“ Baerbock hob weiter hervor, es brauche verlässliche Regeln für Migration und Asyl, „um den unmenschlichen Zuständen an den EU-Außengrenzen unsere Solidarität entgegenzusetzen“.

Kampfabstimmung auf Parteitag

Die ablehnende Haltung der grünen Parlamentarier sprachen Kretschmann und Özdemir nicht direkt an. Bereits auf dem Parteitag in Karlsruhe im vergangenen November hatten die Grünen heftig über ihren migrationspolitischen Kurs gerungen. Die Grüne Jugend wollte den Regierungsmitgliedern der Grünen jegliche Verschärfungen des Asylrechts verbieten.

Nur mit Mühe konnte die Parteispitze um Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck die Ablehnung des Antrags erreichen. Nun will man dem erneuten Widerstand gegen den Regierungskurs offenbar nicht zu viel Aufmerksamkeit geben.

Die Abstimmung im Europaparlament stellt den Schlusspunkt einer jahrelangen Debatte über die Reform des EU-Asylsystems dar. Im vergangenen Juni einigten sich die 27 EU-Staaten auf Schnellverfahren für Migranten an den EU-Außengrenzen. Später gab die Bundesregierung auch ihre Zustimmung zu einer Krisenverordnung, die noch schärfere Verfahren vorsieht. Im Dezember einigten sich in Brüssel EU-Parlament, die Mitgliedstaaten und die Kommission im sogenannten Trilog über das Gesamtpaket.

Die Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen sollen sicherstellen, dass Migranten ohne Bleibeperspektive schneller abgeschoben können. Gleichzeitig sieht die Reform einen verpflichtenden Solidaritätsmechanismus zur Umverteilung von mindestens 30.000 Menschen innerhalb der EU pro Jahr vor.

Bereits vor der Abstimmung war das Abstimmungsverhalten der Grünen auch aus den Reihen der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament kritisiert worden. So hatte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, Daniel Caspary, dem Tagesspiegel gesagt: „Die Grünen haben offensichtlich noch immer nicht begriffen, dass es weite Teile der Gesellschaft überfordert, wenn jeder zu uns kommen darf, der zu uns kommen will.“ (Mitarbeit: Knut Krohn)

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