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Verkünden sie wieder eine Einigung mitten in der Nacht? Die Parteichefs der Ampel nach dem Koalitionsauschuss im März.

© dpa/Michael Kappeler

Vor Koalitionsausschuss: SPD und Grüne fordern erneute Aussetzung der Schuldenbremse

Noch in diesem Jahr will die Ampel einen Haushalt für 2024 vorlegen. SPD und Grüne sehen dafür nur einen Weg. FDP-Finanzminister Lindner soll erneut eine Notlage erklären.

| Update:

Es sollte ein Routinetermin werden. Man werde sich künftig wieder alle sechs Wochen treffen, vereinbarten die Ampelspitzen am 20. Oktober beim letzten Koalitionsausschuss, um ohne Beschlussdruck über den Zustand der Koalition zu sprechen. An diesem Mittwochabend kommt das Gremium deshalb wieder zusammen. Ab etwa 20.30 Uhr soll im Kanzleramt getagt werden.

Erwartet werden neben Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Partei- und Fraktionsspitzen der Ampelkoalition.

Doch von Routine kann keine Rede mehr sein, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds (KTF) gekippt hat. Die Spitzen der Ampel müssen rasch eine Grundsatzentscheidung treffen, wie sie das im Haushalt 2024 entstandene Milliardenloch stopfen wollen. Mit einem Durchbruch in der Nacht zu Donnerstag wurde in der Ampelkoalition nicht gerechnet.

SPD will schnelle Einigung

Die SPD erhöhte vor dem Treffen den Druck. „Ich hoffe, dass sich erste Lösungskorridore abzeichnen“, sagte Parteichef Lars Klingbeil im Sender ntv. Die SPD wolle, dass der Haushalt noch 2023 verabschiedet werde „und alle zu Weihnachten wissen, wie es nächstes Jahr aussieht“. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sieht dafür nur einen möglichen Lösungsansatz. Er forderte im Deutschlandfunk, nach 2023 auch für 2024 eine Notlage zu erklären und die Schuldenbremse auszusetzen.

Das Finanzierungsloch im zweistelligen Milliardenbereich sei „über bloße Einsparungen im Kernhaushalt und in den Investitionsvorhaben des Bundes“ nicht zu füllen, sagte Kühnert. Niemand habe bisher „auch nur ansatzweise Sparvorschläge vorgelegt, die dieser Größenordnung gerecht werden.“ Er nehme eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse nicht vom Tisch, betonte auch Klingbeil.

Scholz offen für erneute Notlage

Kanzler Scholz hatte in seiner Regierungserklärung am Dienstag im Bundestag offen gelassen, wie die Ampel einen verfassungskonformen Haushalt 2024 aufstellen will. Er betonte allerdings, dass die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise ebenso wie der Wiederaufbau im Ahrtal andauere. Eine Aussetzung der Schuldenbremse über mehrere Jahre hinweg hält Scholz deshalb weiter für möglich.

„Eine neue Realität schafft das Urteil allerdings insofern, als Hilfen in solchen Notsituationen nun jedes Jahr vom Bundestag neu beschlossen werden müssen. Aber auch neu beschlossen werden können“, sagte Scholz. Das Gericht trage dem Umstand Rechnung, „dass die üblichen Spielräume eines regulären Haushaltes in solchen Notsituationen eben nicht ausreichen“.

Im Kanzleramt rechnet man allerdings damit, dass eine Einigung in der Koalition ohne ein deutliches Sparsignal nicht zu erreichen ist. Konsens ist in der Regierung zudem, dass eine mögliche Lösung der Etatkrise vor allem den Haushalt 2025 in den Blick nehmen muss. Denn hier ist das Milliardenloch noch mal deutlich größer als 2024 – entsprechend schwierig ist derzeit die mittelfristige Finanzplanung.

Kanzler Olaf Scholz blieb bei seiner Regierungserklräung im Bundestag vage.

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur/IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Innerhalb der Koalition herrscht die Überzeugung, alle drei Partner müssten Zugeständnisse machen. Nach außen lassen SPD, Grüne und FDP bisher nicht erkennen, wo sie sich vorstellen können, über den eigenen Schatten zu springen.

Scholz, Habeck und Lindner beraten seit dem Karlsruher Urteil immer wieder zu dritt über Wege aus dem Finanzchaos. Dabei ist bisher offen, wie viele Milliarden Euro eingespart werden müssen. Lindner hatte von einer zweistelligen Milliarden-Zahl gesprochen. Am Mittwoch kursierte in Regierungskreisen die Summe von 17 Milliarden Euro Einsparvolumen für 2024. Diese Zahl wurde am Mittwochabend von Finanzminister Lindner im ZDF bestätigt.

Grüne haben Verständnis für Lindner

Die Grünen hatten auf ihrem Parteitag im Karlsruhe vergangene Woche offensiv eine Reform der Schuldenbremse gefordert. Allerdings sieht die Parteiführung für 2024 auch eher eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse als Lösung. Mit einer Reform könne man auch im Bundestagswahlkampf werben, hieß es. Mit einer Reform der Schuldenbremse mit der FDP sei nicht zu rechnen, heißt es in der SPD.

Ich hoffe, dass sich erste Lösungskorridore abzeichnen.

SPD-Parteichef Lars Klingbeil

Dass Finanzminister Lindner für 2024 erneut eine Notlage erklärt, haben die Grünen zuletzt nicht mehr öffentlich verlangt. Insgesamt gingen sie auf ihrem Parteitag sehr pfleglich mit dem FDP-Chef um. Die Wut über die derzeitige Blockade von entscheidenden Klimaschutzprojekten bekam CDU-Chef Friedrich Merz ab.

Parteichef Omid Nouripour dankte Lindner in seiner Eröffnungsrede sogar dafür, dass er die Schuldenbremse zumindest für das laufende Haushaltsjahr erneut aussetzt. Die Grünen erkennen an, dass dies für Lindner ein schwieriger Schritt war. Im Koalitionsausschuss aber dürften SPD und Grüne den Finanzminister gemeinsam unter Druck setzen.

Kaum Spar-Angebote von SPD und FDP

Bisher schließen die Liberalen eine erneute Notlage kategorisch aus. „Es ist aberwitzig, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts jetzt als Grund für eine Aussetzung der Schuldenbremse anzuführen“, sagte der zuständige Fraktionsvize Christoph Meyer. Die Schuldenbremse gehört zum Markenkern der FDP. Die Partei muss fürchten, bei den nächsten Wahlen abgestraft zu werden, wenn sie den Ausgabenwünschen von SPD und Grüne zu sehr entgegenkommt.

Wir wollen den Haushalt 2024 rechtssicher aufstellen und uns an die neuen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten.

FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer

Sparsignale haben SPD und Grüne bislang kaum gesandt. SPD-Chef Klingbeil sagte bei „ntv“, dass man die Axt nicht beim Sozialstaat oder bei Investitionen in eine klimaneutrale Wirtschaft anlegen werde. Auch die von der FDP geforderte und in Teilen der SPD erwogene Kürzung bei der Kindergrundsicherung kann sich Klingbeil offenbar nicht vorstellen.

Die Grünen verweisen bei der Frage nach möglichen Einsparungen stets auf klimaschädliche Subventionen. Viele von ihnen wie das Dienstwagen-Privileg will Lindner aber nicht streichen. Innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion wird die Streichung des Bürgergeld-Bezugs durch ukrainische Flüchtlinge debattiert. Die Zahlungen nach dem – für Asylbewerber üblichen – Asylbewerberleistungsgesetz fallen geringer aus, bedeuten aber auch einen verstärkten Bürokratieaufwand.

Schwierige Begründung für Notlage

Zur Begründung für eine erneute Notlage verwies Kevin Kühnert Anfang der Woche auf die anhaltende Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Die FDP überzeugt das nicht.

„Die SPD würde hier rechtlich sehr dünnes Eis betreten“, sagte Meyer. „Wir wollen den Haushalt 2024 rechtssicher aufstellen und uns an die neuen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten.“ Die Karlsruher Richter hatten in ihrem Schuldenbremsen-Urteil erklärt, dass eine Notlage umso besser dargelegt werden muss, je weiter das auslösende Ereignis zurückliegt.

Klingbeil bringt deshalb neben der Energiekrise auch die Gefahr eines Flächenbrandes im Nahen Osten, die schwierige wirtschaftliche Lage und den harten internationalen Wettbewerb bei der ökologischen Transformation ins Spiel.

In der Koalition glaubt man, dass das Bundesverfassungsgericht eine solche Polykrise für eine weitere Aussetzung der Schuldenbremse am ehesten akzeptieren würde.

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